Hallo,
gegen diese Empfehlung der amerikanischen Leitlinie haben eine Gruppe von Nuklearmediziner*innen aus der Schweiz, den USA, Frankreich und Deutschland eine Editorial verfasst im European Journal of Nuclear Medicine and Molecular Imaging:
Autor*innen:
Giovanella L, Avram AM, Clerc J, Hindié E, Taïeb D, Verburg FA.
in:
Eur J Nucl Med Mol Imaging. 2018 Jul 30.
doi: 10.1007/s00259-018-4110-4.
Artikel ist frei zugänglich
Die Autor*innen verweisen genauso wie die ATA auf die Probleme des postoperativen Tg-Wertes (s.o.), ergänzt wird noch die Problematik, dass bei Vorhandensein von TAK beziehungsweise von heterophilen Antikörpern (HAb), die zu falsch niedrigen und falsch hohen Tg-Werten führen können.
Im Kern des Editorials geht es um die Abwägung von unterschiedlichen Risiken:
Bei intermediate-risk Patienten können ein Tg-Wert <1 ng/ml nicht dazu führen, alle Patienten keiner Radioiodtherapie zuzuführen, da es dennoch kleine Metastasen geben könne, die Jod aufnehmen. Jedoch hätten die Patienten auch ohne Radiojodtherapie eine exzellente Prognose.
(siehe Beitrag oben)
Die Autor*innen dieser Studie Matrone et.al betonen, dass neben dem postoperativen Tg-Wert der postoperative Ultraschall 3 bis 4 Monate nach einer Schilddrüsenoperation von größerer Bedeutung für die Risikostratifizierung von low-risk Patienten bezüglich des Nutzens einer ablativen Radioiodtherapie sein kann.
In einem Briefwechsel im JCEM beklagen Giovanella und seine Kolleginnen vor allem, dass dies eine retrospektive Studie ist, und keine wie von der ATA empfohlene prospektive Studie sowie den Einsatz eine planaren Szintigramm nach einer RIT, statt eines SPECT/CT zur Erkennung von Lymphknotenmetastasen (JCEM, Volume 102, Issue 5, 1 May 2017, Pages 1783–1784
Rossella Elisei, Francesca Binchi und Antonio Matrone widersprechen dem wiederum im JCEM, Volume 102, Issue 5, 1 May 2017, Pages 1785–1786; dabei wird betont, dass es der ATA beim postoperativen Tg-Wert und Ultraschall nicht darum geht, eine RIT zu vermeiden, sondern diese Diagnostik helfen soll, die low-risk Patienten zu identifizieren, die eine RIT brauchen (es wird auf die obigen Empfehlungen sowie die Figuren 5, 6 und 8 verwiesen in der ATA-Leitlinie)
In diesem hier vorgestellten Editorial von Giovanella werden die Daten von Matrone et.al. auch anders interpretiert.
Giovanella et.al. sehen sich bestätigt, dass ein postoperativer, nicht-stimulierter Tg-Wert von <1 ng/mL nicht dazu benutzt werden kann, dass keine Fernmetastasen vorliegen.
In den Daten von Matrone et.al. gab es unter den 505 low- und intermediate-risk Patient*innen einen Patienten mit einem nicht-stimulierten Tg-Wert von <0,75 ng/mL und Knochenmetastasen. (siehe auch )
Neben diesen für uns Patient*innen relevanten Punkten, werden auch Argumente angeführt, dass mit der Vermeidung einer Radioiodtherapie nicht notwendigerweise Kosten eingespart werden.
So wird z.B. Angeführt, dass nach einer RIT der Ultraschall eingespart werden kann, siehe Studie: Ultraschall des Halses bei nicht-nachweisbarem und niedrigem Tg-Wert nicht notwendig (Verburg 2018)
Den Nutzen eines postoperativen Tg-Werts sehen Giovanella et.al. vor allem in der Unterscheidung, ob eine geringe oder höhere Aktivität bei der Radioiodtherapie angewendet werden soll ( ATA (2015): Welche Aktivität von I-131 bei der RIT?).
Anmerkung Harald:
Ein großer Teil der Patient*innen wird vielmehr ein nicht-bestimmbares Ansprechen oder ein biochemisch-unvollständiges Ansprechen nach der Radioiodtherapie haben, ohne dass dies ein Einfluss auf das Auftreten eines Rezidives oder gar auf das Überleben hat.
Unvollständiges Ansprechen und biochemisch-unvollständiges Ansprechen dürften wiederum eine Reihe von weiterer Diagnostik nach sich ziehen und die Patient*innen stärker verunsichern.
Hier werden noch bessere Studien gebraucht, die auch diese Risiken der RIT berücksichtigen.
Ein großes Problem dürfte jedoch bleiben, dass sich mögliche Vorteile einer RIT erst nach über 10 Jahren zeigen und auch nur für einen kleinen Prozentanteil von uns Schilddrüsenkrebspatient*innen besteht.
Wie Schilddrüsenkrebspatient*innen, die frisch mit der Diagnose Krebs konfrontiert sind, zusammen mit ihren Ärzt*innen eine gemeinsame Risikoabwägung treffen können, bleibt eine schwierige Aufgabe.
Viele Grüße
Harald
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