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Studien: hsTg-Nachsorgekonzept der Uniklinik Essen (2015)

Studien: hsTg-Nachsorgekonzept der Uniklinik Essen (2015)

Mit den neuen sensitiveren diagnostischen Methoden in der Nachsorge des Schilddrüsenkarzinoms möchte man vor allem drei Dinge erreichen:

  1. Die Vermeidung von invasiveren, mit mehr Nebenwirkungen verbundenen diagnostischen Methoden (z.B. Blutabnahme anstelle einer Radiojoddiagnostik). Hierzu sollte der negative Vorhersagewert (=negative prädiktive Wert einer diagnostischen Methode möglichst hoch sein; d.h. wenn der Befund unauffällig (=negativ) ist, dann sollte die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich kein Rezidiv vorliegt sehr hoch sein (z.B. 95%).
  2. Die Vermeidung von falsch positiven Befunden, um Patienten nicht mit weiteren unnötigen diagnostischen Methoden und Therapien mehr zu schaden als zu nützen. Um falsch positive Befunde zu vermeiden, muss der positive Vorhersagewert (=positive prädiktive Wert) möglichst hoch sein. Dieser statistische Wert beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass wenn ein Befund positiv ist, dieser auch wirklich ein Rezidiv ist, und nicht lediglich falscher Alarm vorliegt
    (Positiver und negativer prädiktiver Wert werden in Kapitel 1.3. Risiken verstehen in unserer Broschüre: Knoten der Schilddrüse und ihre Behandlung. Beobachten oder behandeln/operieren? ausführlich erklärt.)
  3. Die „rechtzeitige“ Erkennung von Rezidiven, um Patienten einer Therapie zuzuführen, die eine gute Lebensqualität und das Leben möglichst lange erhält (zu den damit verbunden Problemen siehe die Kästen unten).

Auf der Jahrestagung der Endokrinologie im Frühjahr 2015 wurde nun ein Schilddrüsenkarzinom-Nachsorgekonzept der Klinik für Nuklearmedizin der Universitätsklinik Essen basierend auf einem hochsensitiven (=“ultrasensitiven“) Tg-Assay in einem Poster vorgestellt.

Dieses Konzept basiert auf Ergebnissen mehrerer Studien. Auf der Jahrestagung der Endokrinologen wurden die Ergebnisse von einer retrospektiven sowie zwei prospektiven Pilot-Studien vorgestellt. Als „hochsensitiv“ gelten Tg-Messmethoden, deren untere Nachweisgrenze (ausgedrückt als sog. „funktionelle Assay-Sensitivität“, fAS) bei 0,1 ng/ml und weniger liegt. Bei der derzeit überwiegend verwendeten Assay-Generation liegt die fAS in der Größenordnung von 0,5-1 ng/ml.

Nach den ersten Pilot-Studien sieht das augenblickliche Nachsorgekonzept weitere diagnostische Verfahren dann vor, wenn die mit einem hochsensitiven Tg-Assay unter laufenden Schilddrüsenhormoneinnahme („TSH-Unterdrückung“) gemessenen Tg-Werte sich

  • mindestens verdoppelt haben

    und

  • einen Anstieg um mindestens 0,1 ng/ml aufweisen
    (jeweils bezogen auf den niedrigsten im Nachsorgeverlauf gemessenen Tg-Wert (=Tg nadir)

Die Interventionsschwelle (cutoff) für weitere diagnostische Verfahren wird überschritten, wenn obige beide Bedingungen zu treffen.

In diesem Konzept werden somit auch die Patienten berücksichtigt, deren Tg-Wert nach einer Radioiodtherapie (RIT) nachweisbar war, in der Bildgebung jedoch nichts mehr zu sehen war. Bei diesen Patienten geht man vom niedrigsten gemessenen Tg-Wert (=Tg nadir) aus und betrachtet dann den Verlauf der Tg-Werte.

Anders als im Positionspapier: hsTg in der Nachsorge (Giovanella 2014), wo es vor allem um die Kontrolle der Ablation (=1. RIT) geht, ist das Ziel dieses Konzepts die frühzeitige Erkennung von Rezidiven in der Langzeit-Nachsorge.

    Im Positionspapier: hsTg in der Nachsorge (Giovanella 2014) wird bei einem Tg-Wert von <0,1 ng/ml unter TSH-Unterdrückung empfohlen, auf eine rhTSH-Stimulation (und RJD) zu verzichten.

Rezidiv
Von einem Rezidiv spricht man bei einem gesicherten Wiederauftreten von Tumorgewebe bzw. Metastasen. Als sicherster Beweis für ein Rezidiv gilt der mikroskopische Nachweis von Tumorgewebe, welches mittels Punktion oder Operation gewonnen wurde, was jedoch nicht immer möglich bzw. erforderlich ist.

Ein alleiniger Nachweis oder Anstieg des Tumormarkers (Thyreoglobulin = Tg) ohne Nachweis eines Tumors/Metastasen in der Bildgebung beweist noch nicht sicher ein Rezidiv, denn ein Tumormarker ist immer nur ein Surrogatparameter für ein Tumorwachstum. Allerdings ist ein im Verlauf kontinuierlich und eindeutig ansteigender Tg-Wert (wegen der relativ hohen Spezifität dieses Tumormarkers) in der Regel Ausdruck für ein Tumorwachstum, sofern Faktoren ausgeschlossen werden können, die den Tg-Messwert verfälschen. Eine Tumorlokalisation mittels Bildgebung gelingt erst dann, wenn eine bestimmte Größe des Tumorgewebes überschritten wird und/oder spezifische Eigenschaften des Tumorgewebes bestehen (z.B. Fähigkeit zur Jod- oder Zuckerspeicherung), die ein Aufspüren mit nuklearmedizinischen Methoden erlauben.

Früherkennung von Rezidiven

Der Früherkennung von Rezidiven wird im Allgemeinen ein hoher Nutzen für die Patienten zugeschrieben in der Annahme, dass dadurch die Krankheit mit höherer Wahrscheinlichkeit geheilt oder über einen langen Zeitraum kontrolliert werden kann (siehe Britische Leitlinie; 2014 Kap. 12).

Ob die durch immer sensitivere diagnostische Methoden (Bildgebung und Assays) noch frühere Erkennung wirklich von Nutzen für die Patienten ist und nicht mehr schadet (durch zusätzliche Therapien und vor allem Verkürzung der sorglosen Zeit), lässt sich allerdings nur über randomisierte Studien nachweisen, bei denen die Patientengruppen nach unterschiedlichen Nachsorgekonzepten behandelt und über einen langen Zeitraum Nachverfolgt werden (siehe dazu auch: FAQ: Was sagen Überlebenszeiten / Überlebensraten aus?).

Ob z.B. kleine, langsam wachsende Lymphknotenmetastasen im Halsbereich für das Leben und die Lebensqualität für die Patienten von Bedeutung sind, wird seit ein paar Jahren auch kritisch unter den Ärzten diskutiert. In der Britischen Leitlinie von 2014 wird auf Basis von Expertenmeinungen die operative Entfernung als auch eine aktive Beobachtung („active surveillance“) empfohlen (Kap. 12.1. ii).

Ergebnisse der beiden Essener Pilot-Studien:
In den Essener Studien wurde ein Tg-Assay (Medizym Tg Rem®) mit einer fAS von 0,03 ng/ml verwendet.

Insgesamt wurden 549 Patienten, die nach RJT als geheilt eingestuft wurden, über einen längeren Zeitraum prospektiv verfolgt (Teilkollektiv von n=100 ausgewählten Patienten für eine Langzeitverlaufsbeobachtung, Teilkollektiv von n=459 „konsekutiven“, also im normalen Routineablauf aufeinanderfolgend eingeschlossene Patienten als Essener Beitrag zu einer multizentrischen Studie).

In einer der Pilotstudien der Uniklinik Essen haben von 100 Patienten mit einem Beobachtungszeitraum von 10-14 Jahren 22 ein Rezidiv entwickelt. Bei 8 dieser 22 Patienten mit Rezidiv lag der Tg-Wert nach RIT bei <0,1 ng/ml unter TSH-Unterdrückung durch die nach der Therapie eingeleitete Schilddrüsenhormon-Dauermedikation.

    Anmerkungen: Die Rezidivrate einzelner Studienregister / Kliniken wird recht unterschiedlich angegeben: Utrecht hat in einem Zeitraum von 10 Jahren eine Rezidivrate von 13%, Würzburg in einem Zeitraum von 5 Jahren 3,6%.

    Hier in diesem Essener Studienkollektiv liegt die Rezidivrate in 10-14 Jahren mit 22% also recht hoch. Gründe für die höhere Rezidivrate dürften vor allem in der Selektion der Patienten sein (überdurchschnittlich hohe Risikoprofile).

    Durch die höhere Rezidvrate sind für die Patienten wichtige Aussagen zum positiven und negativen prädiktive Wert (PPV u. NPV) des Tg-Wertes im Verlauf nicht ohne weiteres übertragbar, da diese Werte von der Rezidivrate (Prävalenz) abhängig sind (siehe Kap. 1.3. Risiken verstehen in unserer Broschüre: Knoten der Schilddrüse und ihre Behandlung.).

In einer weiteren Pilotstudie mit 449 Patienten war der Beobachtungszeitraum 2 Jahre. Hier hat man bereits – abgeleitet von vorangehenden Studien – das oben aufgeführte Nachsorgekonzept prospektiv angewandt. Bei 21 Patienten von diesen 449 wurde diese Interventionsschwelle innerhalb des zweijährigen Beobachtungszeitraumes überschritten:

  • bei 6 Patienten (entsprechend 28,6 %) wurde die Interventionsschwelle überschritten, aber bislang kein Rezidiv lokalisiert. Hier werden weitere Verlaufsbeobachtungen zeigen, ob es sich um „falschen Alarm“ handelt, oder ob erst zu einem späteren Zeitpunkt (siehe unten) eine erfolgreiche bildgebende Diagnostik möglich ist.
  • bei 15 wurden „mittlerweile“ Rezidive festgestellt. Von den 15 entwickelten jedoch ein Teil der Patienten erst zu einem späteren Zeitpunkt bei einem weiterem Anstieg des Tg eine mit den heutigen bildgebenden Verfahren sichtbares Tumorgewebe. Da nach einer durchgeführten Therapie, der Tg-Wert wieder sank, kann mit an sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Nachhinein (retrospektiv) davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem ersten Überschreiten des Cutoff bereits um ein frühes Stadium eines Rezidivs handelte.

Kommentar:
Mit 15 Rezidiven innerhalb der ersten zwei Jahre nach der ablativen Radioiodtherapie (Ablation) ist die Rezidivrate unter den 449 Patienten dieser prospektiven Studie mit 3,3 % vergleichbar wie in anderen Studienregistern der Routineversorgung. Für die Patienten, die die Interventionsschwelle (cutoff) überschritten haben, ergibt sich, dass 71,4 % ein richtig positives Ergebnis erhalten haben (Positiver prädiktiver Wert = richtig positiv / (richtig + falsch positiv) =15/(15+6) = 71,4%).

Im Vergleich zum mit rhTSH-stimulierten Tg-Test in der Nachsorge wie er in der ATA-Leitlinie (2009) empfohlen wird, dürfte dieses Nachsorgekonzept der Uniklinik Essen bereits ein Fortschritt sein. In der ATA-Leitlinie wird in der Nachsorge eine weitere Diagnostik bei einem rhTSH-stimulierten Tg-Wert von > 2 ng/ml empfohlen, jedoch nur ein Drittel (33%) entwickelt später ein sichtbares Rezidiv (Positiver Prädiktiver Wert). Wie oft ein stimulierter Tg-Wert in der Nachsorge bestimmt werden soll, wird in der Leitlinie offen gelassen. Das Essener Nachsorgekonzept ist weniger invasiv (keine Injektion des Hormons rhTSH) und der positive prädiktive Wert ist höher, d.h. es werden mehr falsch positive Befunde dadurch vermieden.

Ein ebenfalls auf einem Tg-Assay basierende Nachsorgekonzept (allerdings nur für das papilläre Schilddsüenkarzinom; auch hat der verwendete Immulite-Assay eine funktionelle Sensitivität von 0,9 ng/ml; für die Analyse in der Studie wurde jedoch die analytische Sensitivität verwendet; so dass die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf andere Assay übertrag bar sind) an der Universität Hongkong (Hilde Wong et al.; 2012) hat als Interventionsschwelle (Cutoff) eine Anstieg des Tg von ≥0,3 ng/mL innerhalb eines Jahres definiert. Die Rezidivrate lag bei den 501 untersuchten Patienten in einem Zeitraum von 7 Jahren bei 5,3%. Mit diesem Cutoff und dieser Rezidivrate kommt gar ein noch besserer positiver prospektiver Wert von 88% zustande. Zugleich hatten Patienten mit einem Tg-Wert von >0,2 ng/ml, aber ohne den obigen Anstieg einen negativ prädiktiven Wert von 91,7 % (die Wahrscheinlichkeit, dass sicher kein Rezidiv vorliegt; negativ prädiktiver Wert = richtig negativ / (richtig + falsch negativ) = 55/(55+5) = 91,7%). Da die Essener Studie für die Routinenachsorge erst zwei Jahre läuft, lassen sich die Zahlen zu den unterschiedlichen Cutoffs noch nicht abschließend vergleichen.

Allerdings ist zu bedenken, dass bei X Patienten von den 15 Patienten mit Rezidiv im Essener Studienkollektiv sehr früh durch den Tg-Anstieg ein Wachstum von Tumorgewebe angezeigt wurde, welches erst zu einem späteren Zeitpunkt durch die Bildgebung zu erkennen war. Ob eine solche „Früherkennung“ für uns Patienten von Nutzen ist, oder nur die sorglose Zeit verkürzt, wird durch diese Studie unbeantwortet bleiben.

Außerdem besteht dadurch die Gefahr, dass Ärzte und Patienten aus der Befürchtung, dass ein Tg-Anstieg im hochsensitiven Bereich ein sehr frühes Stadium eines Tumorwachstums beweist, damit beginnen „Tg-Werte“ mit Radioiodtherapien (RIT) zu behandeln, so dass dann womöglich mehr Schaden als Nutzen angerichtet wird.

Schon bei den älteren Tg-Assays war es wichtig, nicht nur die Höhe eines einzelnen aktuellen Tg-Wertes zu betrachten, sondern auch den Verlauf. Mit der Anwendung von hochsensitiven Tg-Assays wird die Betrachtung des Verlaufs der Tg-Werte in der Nachsorge noch wichtiger werden, gegenüber einem einzelnen erhöhten Tg-Wert. Risiken und falsch positive Ergebnisse sowie Nutzen und Schaden der Früherkennung und frühen Therapie von Rezidiven werden hier noch intensiver mit den Patienten besprochen werden müssen.

Weitere offene Fragen sind, u.a. wie hoch ist die Rate falsch positiver Befunde bei längeren Nachsorgezeiträumen. Braucht es hier eventuell andere Interventionsschwellen, da über die Jahre das Rezidiv-Risiko sinkt und damit die Rate falsch positiver Befunde zunehmen dürfte?

Da Patienten oftmals bereits bei einem einzelnen leicht erhöhten Tg-Wert Ängste entwickeln, wäre es auch gut zu wissen, wie oft erhöhte Tg-Werte auftreten, ohne dass ein Rezidiv vorliegt, damit man diese Patienten entsprechend beruhigen kann.

Diese und weitere Fragen zur Optimierung der Interventionsschwelle wird nun in einer Multizenter-Studie an über 1.000 Patienten untersucht.

Viele Grüße
Harald

Prof. Dr. Görges hat mir dankenswerter Weise bei der Erstellung dieses Beitrages beratend und mit Anmerkungen geholfen.


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