Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!
- Dieses Thema hat 2 Antworten und 1 Teilnehmer, und wurde zuletzt aktualisiert 30.07.2025 - 15:15 von
Harald.
Leitungsteam SHG Berlin follikulärer SD-Krebs 1997 (oxyphil), Zungengrundkrebs 2024
Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!
Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!
Nach mehreren Anläufen und Verzögerungen ist sie endlich veröffentlicht: die erste S3-Leitlinie zum Schilddrüsenkarzinom. Sie enthält evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des differenzierten, wenig differenzierten, anaplastischen sowie medullären Schilddrüsenkarzinoms.
In vielen Punkten orientiert sich die Leitlinie an den Empfehlungen der American Thyroid Association (ATA), berücksichtigt aber auch spezifische Anforderungen des deutschen Gesundheitssystems. Sie stellt damit eine wichtige Grundlage für eine leitliniengerechte Versorgung in Deutschland dar.

Inhalt dieses Beitrags
- Ein gemeinsames Werk
- Was ist das Besondere an einer S3-Leitlinie?
- interdisziplinäres Tumorboard
- Kasten: Empfehlungsgrade
- Was bedeutet das für die Behandlung?
- Gute Evidenz was ist das?
- Welche Neuerungen gibt es in der neuen S3-Leitlinie?
- Diagnostik der Knoten der Schilddrüse – Ultraschall (US)
- Vor einer Feinnadelpunktion – (Calcitonin, SNIMTN)
- Calcitonin – Grenzwerte
- Feinnadelpunktion
- Weniger radikale Operationen
- Risikogruppen nach Operation und Radiojodtherapie
- Radiojodtherapie
- Erfolgskontrolle der Radiojodtherapie
- Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkrebs – TSH
- psychosoziale und psycho-onkologische Angebote sowie AHB/Reha
- Patientenleitlinie
- Quellen und Links
Ein gemeinsames Werk
Die Arbeit an der Leitlinie begann bereits 2018. Unter der Koordination von Professor Andreas Bockisch haben – neben den drei federführenden Fachgesellschaften für Chirurgie, Endokrinologie und Nuklearmedizin – auch unsere Patientenorganisation sowie über 20 weitere Fachgesellschaften und Institutionen mitgewirkt.
Die Erstellung wurde von der Deutschen Krebshilfe im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie unterstützt. Zahlreiche Ärzt*innen haben sich ehrenamtlich eingebracht – in Arbeitsgruppen, Konsensuskonferenzen oder durch Kommentierung der Entwürfe.
Was ist das Besondere an einer S3-Leitlinie?
In Deutschland organisiert die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) die Erstellung medizinischer Leitlinien. Die S3-Leitlinie ist dabei die höchste Qualitätsstufe – sie basiert auf einem systematischen Verfahren:
- Wissenschaftliche Studien werden umfassend bewertet.
- Alle Beteiligten müssen ihre Interessenkonflikte offenlegen.
- Empfehlungen werden in geheimen Abstimmungen beschlossen.
- Ein Konsens besteht ab 75 %, ein starker Konsens ab 95 % Zustimmung.

interdisziplinäres Tumorboard
Ein zentrales Merkmal der neuen S3-Leitlinie: Bei allen entscheidenden Therapieschritten – z. B. Operation, Radiojodtherapie, systemische Therapie – „soll“ bzw. „sollte“ (siehe Kasten) ein interdisziplinäres Tumorboard eingebunden werden.
Was bedeutet das für die Behandlung?
Die neue S3-Leitlinie hilft Ärzt*innen , die bestmögliche Therapie nach aktuellem Wissensstand zu empfehlen. Für uns Patient*innen bedeutet das:
- Mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei Therapieentscheidungen und in der Diagnostik der Nachsorge
- Vermeidung von Über- oder Unterbehandlung
- Bessere interdisziplinäre Abstimmung
Gute Evidenz was ist das?
Die Leitliniengruppe definiert zunächst zentrale Fragestellungen (PICO-Fragen), auf deren Grundlage eine systematische Literaturrecherche erfolgt. Die Studien werden dann nach ihrer Aussagekraft (Evidenzklasse) bewertet.
Die höchste Evidenz nach Oxford bieten Metaanalysen von randomisierten Studien (1a). Bei 1b gibt es nur eine gute randomisierte Studie. Beobachtungs- und nicht-randomisierte Studien haben die Evidenzklassen 2-3. Ist sich die Leitliniengruppe einig, dass es keine gute Evidenz gibt, dann gibt es nur einen Expertenkonsenses (EK):
-
- 1a: Metaanalysen hochwertiger randomisierter Studien (RCT)
- 1b: Eine gute randomisierte kontrollierte Studie (RCT)
- 2–3: Beobachtungs- oder nicht-randomisierte Studien
- 4-5 Einzelfall-Beschreibungen. Findet in unserer S3-Leitlinie keine Anwendung.
- EK (Expertenkonsens): Wenn keine belastbare Evidenz vorliegt
Zusätzlich kommt in der S3-Leitlinie das GRADE-System zum Einsatz, wenn nicht nach Oxford klassifiziert wurde. GRADE berücksichtigt auch Aspekte wie Nutzen vs. Schaden, Präzision und Übertragbarkeit. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wird durch Symbole dargestellt (von vier Pluszeichen für sehr hohe bis für sehr niedrige Qualität mit nur einem Pluszeichen; siehe Langversion der S3-Leitlinie, Tabelle 4, S. 23).
Für eine gute Evidenz sind zu dem die patientenrelvanten Endpunkte (Überleben, rezidivfreies Überleben, Lebensqualität) von zentraler Bedeutung; siehe auch: Forenthema: FAQ-Hilfe: EBM – Was sind patientenrelevante Endpunkte?
Empfehlungsstärke und Konsens
-
- Bei sehr guter Evidenz erfolgt meist eine starke Empfehlung („soll“) mit starkem Konsens (>95 % Zustimmung).
- Bei geringer Evidenz sind schwache Empfehlungen („kann“, „sollte“) jedoch häufiger, der Konsens kann unterschiedlich stark sein.
- Es kann aber auch bei schwacher Evidenz – je nach klinischer Relevanz – starke Empfehlungen mit starkem Konsens als Expertenkonsens geben.
Der Konsens wird in geheimen Abstimmungen in den Konsensuskonferenzen ermittelt (siehe oben).
Welche Neuerungen gibt es in der neuen S3-Leitlinie?
Unter der Vielzahl von Empfehlungen hier nur eine kleine Auswahl aus Patientenperspektive.
Diagnostik der Knoten der Schilddrüse – Ultraschall (US)
Die Malignitätswahrscheinlichkeit von Schilddrüsenknoten sollte nun mittels eines TIRADS-Klassifikationssystems (Empfehlung E 3.3) erfolgen. Auch die Lymphknoten (E 3.7) sollen nun vor einer Operation systematisch mit dem Ultraschall untersucht werden.
siehe auch: Wiki: Thyroid Imaging, Reporting and Data System (TIRADS)
Vor einer Feinnadelpunktion
sollte bei Verdacht auf ein medulläres Schilddrüsenkarzinom Calcitonin (E 8.4) bestimmt werden. Hintergrund ist, dass beim medullären Schilddrüsenkarzinom das Sporadic Noninvasiv Medullary Thyroid Neoplasie (SNIMTN) in die Leitlinie Einzug gehalten hat. Das SNIMTN bildet keine Desmoplasie, ist weniger aggressiv und gilt mit der Entfernung des Tumors als geheilt. Eine Feinnadelpunktion kann zu Reaktionen führen, die es der Pathologie erschweren zu unterscheiden, ob eine Desmoplasie vorliegt oder nicht. Eine Feinnadelpunktion sollte daher dann nicht durchgeführt werden (E 3.22), ebenso wie bei autonomen Knoten (E 3.14).
siehe auch:
Calcitonin Grenzwerte
Beim Calcitonin definiert die Leitlinie nun Grenzwerte, wann beobachtet und wann operiert werden soll (E 8.5).
siehe auch: Wiki: Calcitonin (Ctn) – Tumormarker vor einer Schilddrüsenoperation
Feinnadelpunktion
Basierend auf der Vorselektion soll bei suspekten Knoten >1cm eine Feinnadelpunktion gemacht werden.
- Kalte Knoten allein stellen keine OP-Indikation mehr dar (E 3.15)
- Bei suspekten Knoten > 1 cm wird eine Feinnadelpunktion empfohlen (E 3.19)
- Eine Empfehlung zur molekularpathologischen Diagnostik konnte nicht ausgesprochen werden – das Fehlen genetischer Veränderungen schließt Malignität nicht zuverlässig aus (E 4.10).
Weniger radikale Operationen
Bei der Operation ist die totale Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie) in den meisten Fällen noch der Standard (E 5.2). Es gibt jedoch eine Reihe von Ausnahmen bei denen nach einer diagnostischen Entfernung eines Schilddrüsenlappens (Hemithyreoidektomie) dies auch als ausreichende Therapie angesehen werden kann (u. a. E 5.3).
- Eine prophylaktische Lymphknotendissektion sollte nur in Ausnahmefällen und bei spezieller Expertise erfolgen (E 5.5).
- Die aktive Überwachung (Watchful Waiting) eines papillären Mikrokarzinoms ist unter bestimmten Bedingungen möglich (E 5.13).
Risikogruppen
Für das differenzierte Schilddrüsenkarzinom gibt es nun Risikogruppen für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rezidiv nach der Operation sowie nach der Radiojodtherapie vorkommt.
Siehe auch:
Radiojodtherapie (RJT)
Die Radiojodtherapie erhält nur in wenigen Fällen starke Empfehlungen. Die Vor- und Nachteile einer Radiojodtherapie sollen nun meist individuell besprochen werden, ebenso ob mit Unterfunktion oder rhTSH vorbereitet werden soll (u. a. E 5.36). Ergänzend zu einer Ganzkörper-Szintigraphie direkt nach der RJT soll ggf. ein SPECT/CT erfolgen, wenn Lymphknotenmetastasen vermutet werden (E 5.63).
siehe auch:
Erfolgskontrolle der Radiojodtherapie
Der Erfolg der Radiojodtherapie soll nun mit Ultraschall, Thyreoglobulin, TAK und der Schilddrüsenhormonen kontrolliert werden (E 5.64).
Eine Radiojoddiagnostik (RJD) soll in der Erfolgskontrolle der RJT nur bei vorhandenen TAK oder mittlerem oder hohem Rezidivrisiko erfolgen (E 5.65).
Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkrebs – TSH
Hier folgt die Leitlinie der ATA-Leitlinie (2015), wobei die S3-Leitlinie für die ersten Monate nach der RJT bis zur Responseevaluation eigene TSH-Zielbereiche definiert (E 6.6).
siehe auch: Forenthema: FAQ: TSH-Unterdrückung nach Schilddrüsenkrebs – eine Risikoabwägung
psychosoziale und psycho-onkologische Angebote und AHB/Reha
Alle Patient*innen mit einem Schilddrüsenkarzinom sollen mit einem Screening auf psychosoziale und psycho-onkologie Belastungen untersucht werden (E 12.3 u. 12.4). Ebenso sollen sie über eine Reha, insbesondere eine Anschlussheilbehandlung (AHB) (E 11.1) informiert werden.
siehe auch:
Eine Patientenleitlinie ist in Arbeit.
Quellen und Links
Leitlinienprogramm Onkologie: S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom
Leitlinien-Hub (Es lassen sich mehrere Leitlinien durchsuchen)
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Hallo,
es gibt nun auch ein Web-Portal Leilinien-Hub , dort lassen sich mehrere Leitlinie durchsuchen, und direkt auf einzelne Empfehlungen einer Leitlinie verlinken:
- Schilddrüsenkarzinom(Version 1.0, 2025) auf der Seite Leilinien-Hub
Viele Grüße
Harald
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