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Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!

HaraldBundesgeschäftsführer
Leitungsteam SHG Berlin
follikulärer SD-Krebs 1997 (oxyphil), Zungengrundkrebs 2024

Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!

| Beitrags-ID: 467445

Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!

Nach mehreren Anläufen und Verzögerungen ist sie endlich veröffentlicht: die erste S3-Leitlinie zum Schilddrüsenkarzinom. Sie enthält evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des differenzierten, wenig differenzierten, anaplastischen sowie medullären Schilddrüsenkarzinoms.

In vielen Punkten orientiert sich die Leitlinie an den Empfehlungen der American Thyroid Association (ATA), berücksichtigt aber auch spezifische Anforderungen des deutschen Gesundheitssystems. Sie stellt damit eine wichtige Grundlage für eine leitliniengerechte Versorgung in Deutschland dar.
S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom auf der Seite Leitlinienprogramm Onkologie

Inhalt dieses Beitrags

 

Ein gemeinsames Werk 

Die Arbeit an der Leitlinie begann bereits 2018. Unter der Koordination von Professor Andreas Bockisch haben – neben den drei federführenden Fachgesellschaften für Chirurgie, Endokrinologie und Nuklearmedizin – auch unsere Patientenorganisation sowie über 20 weitere Fachgesellschaften und Institutionen mitgewirkt.

Die Erstellung wurde von der Deutschen Krebshilfe im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie unterstützt. Zahlreiche Ärzt*innen haben sich ehrenamtlich eingebracht – in Arbeitsgruppen, Konsensuskonferenzen oder durch Kommentierung der Entwürfe.

Was ist das Besondere an einer S3-Leitlinie?

In Deutschland organisiert die AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) die Erstellung medizinischer Leitlinien. Die S3-Leitlinie ist dabei die höchste Qualitätsstufe – sie basiert auf einem systematischen Verfahren:

  • Wissenschaftliche Studien werden umfassend bewertet.
  • Alle Beteiligten müssen ihre Interessenkonflikte offenlegen.
  • Empfehlungen werden in geheimen Abstimmungen beschlossen.
  • Ein Konsens besteht ab 75 %, ein starker Konsens ab 95 % Zustimmung.

Empfehlungsgrade einer S3-Leitlinie

interdisziplinäres Tumorboard

Ein zentrales Merkmal der neuen S3-Leitlinie: Bei allen entscheidenden Therapieschritten – z. B. Operation, Radiojodtherapie, systemische Therapie – „soll“ bzw. „sollte“ (siehe Kasten) ein interdisziplinäres Tumorboard eingebunden werden.

Was bedeutet das für die Behandlung?

Die neue S3-Leitlinie hilft Ärzt*innen , die bestmögliche Therapie nach aktuellem Wissensstand zu empfehlen. Für uns Patient*innen bedeutet das:

  • Mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei Therapieentscheidungen und in der Diagnostik der Nachsorge
  • Vermeidung von Über- oder Unterbehandlung
  • Bessere interdisziplinäre Abstimmung

Gute Evidenz was ist das?

Die Leitliniengruppe definiert zunächst zentrale Fragestellungen (PICO-Fragen), auf deren Grundlage eine systematische Literaturrecherche erfolgt. Die Studien werden dann nach ihrer Aussagekraft (Evidenzklasse) bewertet.

Die höchste Evidenz nach Oxford bieten Metaanalysen von randomisierten Studien (1a). Bei 1b gibt es nur eine gute randomisierte Studie. Beobachtungs- und nicht-randomisierte Studien haben die Evidenzklassen 2-3. Ist sich die Leitliniengruppe einig, dass es keine gute Evidenz gibt, dann gibt es nur einen Expertenkonsenses (EK):

    • 1a: Metaanalysen hochwertiger randomisierter Studien (RCT)
    • 1b: Eine gute randomisierte kontrollierte Studie (RCT)
    • 2–3: Beobachtungs- oder nicht-randomisierte Studien
    • 4-5 Einzelfall-Beschreibungen. Findet in unserer S3-Leitlinie keine Anwendung.
    • EK (Expertenkonsens): Wenn keine belastbare Evidenz vorliegt

Zusätzlich kommt in der S3-Leitlinie das GRADE-System zum Einsatz, wenn nicht nach Oxford klassifiziert wurde. GRADE berücksichtigt auch Aspekte wie Nutzen vs. Schaden, Präzision und Übertragbarkeit. Die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz wird durch Symbole dargestellt (von vier Pluszeichen für sehr hohe bis für sehr niedrige Qualität mit nur einem Pluszeichen; siehe Langversion der S3-Leitlinie, Tabelle 4, S. 23).

Für eine gute Evidenz sind zu dem die patientenrelvanten Endpunkte (Überleben, rezidivfreies Überleben, Lebensqualität) von zentraler Bedeutung; siehe auch: Forenthema: FAQ-Hilfe: EBM – Was sind patientenrelevante Endpunkte?

Empfehlungsstärke und Konsens

    • Bei sehr guter Evidenz erfolgt meist eine starke Empfehlung („soll“) mit starkem Konsens (>95 % Zustimmung).
    • Bei geringer Evidenz sind schwache Empfehlungen („kann“, „sollte“) jedoch häufiger, der Konsens kann unterschiedlich stark sein.
    • Es kann aber auch bei schwacher Evidenz – je nach klinischer Relevanz – starke Empfehlungen mit starkem Konsens als Expertenkonsens geben.

Der Konsens wird in geheimen Abstimmungen in den Konsensuskonferenzen ermittelt (siehe oben).

Welche Neuerungen gibt es in der neuen S3-Leitlinie?

Unter der Vielzahl von Empfehlungen hier nur eine kleine Auswahl aus Patientenperspektive.

Diagnostik der Knoten der Schilddrüse – Ultraschall (US)

Die Malignitätswahrscheinlichkeit von Schilddrüsenknoten sollte nun mittels eines TIRADS-Klassifikationssystems (Empfehlung E 3.3) erfolgen. Auch die Lymphknoten (E 3.7) sollen nun vor einer Operation systematisch mit dem Ultraschall untersucht werden.

siehe auch: Wiki: Thyroid Imaging, Reporting and Data System (TIRADS)

Vor einer Feinnadelpunktion

sollte bei Verdacht auf ein medulläres Schilddrüsenkarzinom Calcitonin (E 8.4) bestimmt werden. Hintergrund ist, dass beim medullären Schilddrüsenkarzinom das Sporadic Noninvasiv Medullary Thyroid Neoplasie (SNIMTN) in die Leitlinie Einzug gehalten hat. Das SNIMTN bildet keine Desmoplasie, ist weniger aggressiv und gilt mit der Entfernung des Tumors als geheilt. Eine Feinnadelpunktion kann zu Reaktionen führen, die es der Pathologie erschweren zu unterscheiden, ob eine Desmoplasie vorliegt oder nicht. Eine Feinnadelpunktion sollte daher dann nicht durchgeführt werden (E 3.22), ebenso wie bei autonomen Knoten (E 3.14).

siehe auch:

Calcitonin  Grenzwerte

Beim Calcitonin definiert die Leitlinie nun Grenzwerte, wann beobachtet und wann operiert werden soll (E 8.5).

siehe auch: Wiki: Calcitonin (Ctn) – Tumormarker vor einer Schilddrüsenoperation

Feinnadelpunktion

Basierend auf der Vorselektion soll bei suspekten Knoten >1cm eine Feinnadelpunktion gemacht werden.

  • Kalte Knoten allein stellen keine OP-Indikation mehr dar (E 3.15)
  • Bei suspekten Knoten > 1 cm wird eine Feinnadelpunktion empfohlen (E 3.19)
  • Eine Empfehlung zur molekularpathologischen Diagnostik konnte nicht ausgesprochen werden – das Fehlen genetischer Veränderungen schließt Malignität nicht zuverlässig aus (E 4.10).

Weniger radikale Operationen

Bei der Operation ist die totale Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie) in den meisten Fällen noch der Standard (E 5.2). Es gibt jedoch eine Reihe von Ausnahmen bei denen nach einer diagnostischen Entfernung eines Schilddrüsenlappens (Hemithyreoidektomie) dies auch als ausreichende Therapie angesehen werden kann (u. a. E 5.3).

  • Eine prophylaktische Lymphknotendissektion sollte nur in Ausnahmefällen und bei spezieller Expertise erfolgen (E 5.5).
  • Die aktive Überwachung (Watchful Waiting) eines papillären Mikrokarzinoms ist unter bestimmten Bedingungen möglich (E 5.13).

Risikogruppen

Für das differenzierte Schilddrüsenkarzinom gibt es nun Risikogruppen für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rezidiv nach der Operation sowie nach der Radiojodtherapie vorkommt.

Siehe auch:

Radiojodtherapie (RJT)

Die Radiojodtherapie erhält nur in wenigen Fällen starke Empfehlungen. Die Vor- und Nachteile einer Radiojodtherapie sollen nun meist individuell besprochen werden, ebenso ob mit Unterfunktion oder rhTSH vorbereitet werden soll (u. a. E 5.36). Ergänzend zu einer Ganzkörper-Szintigraphie direkt nach der RJT soll ggf. ein SPECT/CT erfolgen, wenn Lymphknotenmetastasen vermutet werden (E 5.63).

siehe auch:

Erfolgskontrolle der Radiojodtherapie

Der Erfolg der Radiojodtherapie soll nun mit Ultraschall, Thyreoglobulin, TAK und der Schilddrüsenhormonen kontrolliert werden (E 5.64).

Eine Radiojoddiagnostik (RJD) soll in der Erfolgskontrolle der RJT nur bei vorhandenen TAK oder mittlerem oder hohem Rezidivrisiko erfolgen (E  5.65).

Nachsorge des differenzierten Schilddrüsenkrebs – TSH

Hier folgt die Leitlinie der ATA-Leitlinie (2015), wobei die S3-Leitlinie für die ersten Monate nach der RJT bis zur Responseevaluation eigene TSH-Zielbereiche definiert (E 6.6).

siehe auch: Forenthema: FAQ: TSH-Unterdrückung nach Schilddrüsenkrebs – eine Risikoabwägung

psychosoziale und psycho-onkologische Angebote und AHB/Reha

Alle Patient*innen mit einem Schilddrüsenkarzinom sollen mit einem Screening auf psychosoziale und psycho-onkologie Belastungen untersucht werden (E 12.3 u. 12.4). Ebenso sollen sie über eine Reha, insbesondere eine Anschlussheilbehandlung (AHB) (E 11.1) informiert werden.

siehe auch:

Eine Patientenleitlinie ist in Arbeit.

Quellen und Links

Leitlinienprogramm Onkologie:  S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom

Leitlinien-Hub (Es lassen sich mehrere Leitlinien durchsuchen)

Wiki: S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom (2025)

  • Dieses Thema wurde geändert vor 2 Monaten, 2 Wochen von Harald.
    Dieses Thema wurde 23-mal bearbeitet.
HaraldBundesgeschäftsführer
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Antwort auf: Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!

| Beitrags-ID: 467603

Hallo,

so eben wurde die neue S3-Leitlinie veröffentlicht.

Viele Grüße

Harald

5 Nutzer*innen haben sich für diesen Beitrag bedankt.
HaraldBundesgeschäftsführer
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Antwort auf: Die erste S3-Leitlinie Schilddrüsenkarzinom ist da!

| Beitrags-ID: 467922

Hallo,

es gibt nun auch ein Web-Portal Leilinien-Hub , dort lassen sich mehrere Leitlinie durchsuchen, und direkt auf einzelne Empfehlungen einer Leitlinie verlinken:

Viele Grüße

Harald

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