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FAQ: Was sagen Überlebenszeiten / Überlebensraten aus?

FAQ: Was sagen Überlebenszeiten / Überlebensraten aus?

| Beitrags-ID: 240988

Update: 1.8.2016

Hallo,

die Darstellung von „Überlebenszeiten“ und „Überlebensraten“ findet man in der Auswertung von Krebsregistern, aber auch wenn es um die Beurteilung von Diagnostischen Methoden und Therapien geht.

Überlebensrate
Die Überlebensrate sagt aus, dass nach dem Zeitpunkt der Diagnosestellung in 2, 5 oder 10 Jahren ein bestimmter Anteil (Prozentsatz) der Patienten noch lebt.
Bei der relativen Überlebensrate wird dies noch in Relation zum Überleben in der Allgemeinbevölkerung gesetzt.

Die Überlebensrate ist ein Maß, für die Prognose des Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose.

Es gibt jedoch eine Vielzahl von Fehlinterpretationen der Überlebensrate:

  • Eine sehr häufig vorkommende Fehlinterpretation von Patienten, die zum ersten mal mit der Überlebensrate konfrontiert werden, ist die Vorstellung, dass man „nur noch 5 Jahre“ zu leben habe.
    Die gewählten Zeiträume sind jedoch nur eine Hilfs-Größe zur Beschreibung der Überlebensrate.

    Bei einer Überlebensrate von 92% nach 5 Jahren, sterben nicht plötzlich alle nach 5 Jahren, sondern diese leben natürlich weiter. Wie viele dann sterben, wird in der Überlebensrate nach 10 Jahren beschrieben usw. usf.
    Allerdings wählt man zur Beschreibung bei aggressiven Tumoren eher kleine Zeiträume (z.B. 2 Jahre), während bei sehr langsam wachsenden Tumoren größere Zeiträume (z.B. 10 Jahre) zur Beschreibung sinnvoller sind.

  • In der Überlebensrate werden unterschiedlich aggressive Tumore zusammengefasst, so dass für den einzelnen Patienten mit einem bestimmten Tumor keine Aussage möglich ist.

    Zum Schilddrüsenkrebs findet sich z.B. in „Krebs in Deutschland 2007/2008“ des Robert Koch-Institut (2012; S. 100ff) folgende Aussage:

    Das relative 5-Jahres-Überleben wird in Deutschland für Frauen derzeit mit ca. 92 % angegeben, das für Männer mit ca. 86 %. Auch in Finnland und den USA ergaben sich für Frauen mit 93 % bzw. 98 % günstigere Überlebensraten als für Männer mit 85 % bzw. 94 %.

    Mit dieser Aussage kann ein einzelner Schilddrüsenkrebspatient gar nichts bezüglich seiner Prognose anfangen, da nicht zwischen dem sehr aggressiven anaplastischen Schilddrüsenkarzinom und den anderen weniger aggressiven Schilddrüsenkarzinomen unterschieden wird.
    Diese Aussagen des Robert-Koch-Instituts sind also für Patienten völlig nutzlos.

    In den Leitlinien zum Schilddrüsenkrebs wird bezüglich Prognose nicht nur auf die unterschiedlichen Schilddrüsenkrebsarten (anaplastisch, medullär, papilläre, follikulär, … ) unterschieden, sonder auch bezüglich des Primärtumors und des Vorliegens von regionalen Lymphknoten- und Fernmetastasen (siehe FAQ: Schilddrüsentumor-Klassifizierung nach TNM). Manchmal wird auch zusätzlich das Alter (älter 45 Jahre = schlechtere Prognose) und Geschlecht (Männer schlechtere Prognose) hinzugezogen.
    In den neuen Leitlinien wird zu dem eine erneute Risiko-Einstufung (Staging) nach den Therapien gefordert (siehe: Resetbutton nach Operation und Radioiodtherapie (RIT) (ATA 2015)).

    In der britischen Leitlinie (2014; S.5) finden sich für das papilläre und follikuläre Schilddrüsenkarzinom folgende 10-Jahres-Überlebensraten:

    • Stage I bis Stage III (unabhängig, ob Lympknotenmetastasen vorhanden oder nicht, keine Fernmetastasen (M0), und keine Invasion in benachbartes Gewebe)
      98,5-99 %
      (Bei der Auswertung des Studienregisters der Universität Münster zeigte sich gar bei der relativen Überlebensrate, dass Frauen über 60 Jahre mit einem Mikrokarzinom, diese länger als Frauen der selben Altersgruppe in der allgemein Bevölkerung leben. Vrachimis, 2015).
    • Stage IVA (T4a oder N1b; M0) – 75,9 %
    • Stage IVB (T4b , M0) – 62,5%
    • Stage IVC (bei vorliegen von Fernmetastasen = M1) – 63 %

    Für das medulläre Schilddrüsenkarzinom finden sich in britischen Leitlinie (2014; S.70) folgende Angaben für dies 10-Jahres-Überlebensrate:

    Für das anapalstische Schilddrüsenkarzinom wird in der britischen Leitlinie (2014; S.80) für alle Stadien eine 5-Jahres-Überlebensrate von 7 % angegeben (Quelle: cancer.org)

  • Man vergleicht Überlebensraten um einen Vorteil von Therapien, Gesundheitssystemen feststellen zu können.

    Im oben angeführten Zitat werden unterschiedlich Überlebensraten in Deutschland, Finnland und den USA angeführt. Die Aussage, dass Männer im allgemein eine schlechtere Prognose, in allen Ländern haben ist zwar richtig, die eigentlichen Unterschiede in der Prognose kommen jedoch durch andere Faktoren zustande (siehe oben).

    Vergleicht man die 5-Jahres-Überlebensrate der einzelnen Länder (z.B. der Frauen 92 % in Deutschland, in den USA 98%), so könnte man zum Schluss kommen, dass die medizinische Versorgung in den USA um einiges besser ist als in Deutschland, da wesentlich mehr Patientinnen in den USA nach 5 Jahren noch leben.

    Bei einer solchen Schlussfolgerung kommen gleich zwei Fehlinterpretationen zum Tragen:

    1. Durch Überdiagnose von langsam wachsenden Tumore über Screeninng-Programme oder Arwarness-Kampagnen zur „Früherkennung“ (=Length Time Bias).

      In den USA wird bezogen auf die Bevölkerungszahl ca. doppelt so oft die Diagnose Schilddrüsenkarzinom gestellt wie in Deutschland. Da dies vor allem kleine Tumore und Mikrokarzinome sind, wird dadurch rein rechnerisch auch eben die Überlebensrate verbessert.
      Ob sich die Überlebensrate der aggressiveren Schilddrüsentumore in den USA besser ist, lässt sich dadurch nicht feststellen.

    2. Es wird bezogen auf den Patienten nur früher die Diagnose Schilddrüsenkarzinom bzw. Rezidiv gestellt, er stirbt jedoch zur selben Zeit, als wenn er zu einem späteren Zeitpunkt die Diagnose erhalten hätte (=Lead time bias)

      Die Überlebensrate zeigt hier einen Vorteil, obgleich beide Patienten zur selben Zeit sterben. Die Früherkennung hat in diesem Beispiel (!) nur die sorglose Zeit verkürzt.
      Ein Vorteil für Patienten durch einer frühen Diagnose lässt sich somit nur über randomisierten, kontrollierte Studien beweisen, in dem die eine Gruppe ein Sreeening (bzw. Nachsorgekonzept dem hochsenisitiven TG-Assay) erhält und die andere Gruppe nicht gescreent (bzw. mit dem alten Nachsorgekonzept) behandelt wird.

      siehe auch: Studie: Bildgebung nach Primärtherapie – Nutzen? (Mousumi Banerjee, Megan R Haymart et al. 2016)

Die oben zitierten Aussagen des Robert Koch-Instituts zu den verschiedenen Überlebensraten sind daher nicht nur für Patienten nutzlos, sie sind auch in hohem Maße irreführend.

Fazit:
Überlebensraten wie sie in den Leitlinien für die einzelnen Tumore und Stadien genannt werden, sind lediglich brauchbar um etwas über die Aggressivität des Tumors und über die Prognose für den Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose zu wissen.

Der einzelne Patient muss sich allerdings bei der Prognose immer im klaren sein, dass man selbst nicht zu 20 Prozent oder 80 Prozent in 5 Jahren stirbt. Es sind letztlich nur statistische Aussagen über eine größere Personengruppe, von denen man sich die Hoffnung nicht nehmen lassen sollte, dass man z.B. beim anaplasitschen Schilddrüsenkarzinom zu den 7% gehört, die länger leben.

Viele Grüße
Harald


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Antwort auf: FAQ: Was sagen Überlebenszeiten / Überlebensraten aus?

| Beitrags-ID: 298516

Hallo,

habe die Diskussion zum Nutzen von Awarness-Kapangen? abgetrennt, da dies ein eigenes Thema ist.

Viele Grüße
Harald

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