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Rund 450.000 Menschen mit Schwerbehinderung leben in Berlin, außerdem fast 210.000 Menschen mit einer leichten.

© Peter Atkins

Berliner Verwaltung: Lange Wartezeit für Behindertenausweise

Menschen mit Behinderung warten immer länger auf Ausweise. Grund dafür sind Personalmangel in den Ämter und Behörden sowie die Schneckenpost.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner Verwaltung hat große Probleme, fachlich kompetenten Nachwuchs anzuwerben. Das belastet die verbliebenen Mitarbeiter, aber vor allem die Bürger, die auf öffentliche Dienstleistungen dringend angewiesen sind. So müssen Berliner, die zum ersten Mal einen Behindertenausweis beantragen, durchschnittlich vier Monate warten, bis der Bescheid vorliegt. Bei einem Änderungsantrag – im Amtsdeutsch: Neufeststellung – sind es sogar viereinhalb Monate. Seit zwei Jahren seien „wieder steigende Tendenzen zu erkennen“, räumt Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) in einem Bericht für das Abgeordnetenhaus ein.

Sie begründet dies mit der „zunehmend angespannten Personalsituation“ im zuständigen Fachreferat des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso), aber auch im Ärztlichen Dienst der Behörde. Jeder sechste Mitarbeiter sei älter als 60 Jahre – und ein Drittel dieser Altersgruppe scheide noch 2018 aus dem Dienst aus. Außerdem seien die „Abwanderungstendenzen bei den jüngeren Beschäftigten nicht zu unterschätzen“, teilt Breitenbach dem Parlament mit. Die Arbeit müsse attraktiver werden, etwa durch neue berufliche Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Lageso.

Personal dringend gesucht

Gern wechseln Beschäftigte in andere Bereiche der Landesverwaltung, viele Ämter und Behörden suchen händeringend neues Personal. Und es gibt weitere Probleme, die eine schnellere Bearbeitung von Behindertenausweisen erschweren: Jeder Antrag muss ärztlich geprüft werden. 2017 fielen 4175 Gutachten und 112.121 Stellungnahmen „nach Aktenlage“ an. Dafür werden meistens externe Fachärzte beauftragt, die pro Stellungnahme ein Honorar von 21 Euro erhalten. Bis 2017 waren es sogar nur 15 Euro.

Der geringe finanzielle Anreiz führe zu einer „großen Fluktuation externer Gutachter“, beklagt die Senatorin. Deshalb müsse der amtsinterne Gutachterstamm verstärkt werden. Aber auch im Lageso Referat für „Ärztliche Begutachtung“ gibt es personelle Engpässe. Erschwerend kommt hinzu, dass die teils sehr umfangreichen Akten immer noch per Schneckenpost versendet werden. Ohne den Postweg, mit Hilfe der Elektronischen Aktenführung, die es in Berlin bisher nicht gibt, könnten externe Gutachter besser ausgelastet werden, hofft die Sozialverwaltung auf eine Verbesserung der Lage in unbestimmter Zeit. Immerhin verfügt das Lageso seit Juni 2012 über eine neue Software für die Bearbeitung der Behindertenanträge, die ein uraltes IT-Verfahren aus den neunziger Jahren abgelöst hat.

415.000 Menschen mit Schwerbehinderung in Berlin

Breitenbachs Bericht, der im Vergleich zu vielen anderen Papieren der Berliner Verwaltung ungewöhnlich ehrlich und gründlich ist, enthält auch Vorschläge für eine Verbesserung der Lage in absehbarer Zeit. Dazu gehören bessere Bezahlung, mehr Gruppenarbeit, ein flexiblerer Einsatz der Fachkräfte und berufliche Weiterbildung. Ziel ist es, die Beschäftigten mindestens fünf bis zehn Jahre im Referat zu halten. Schon die Einarbeitung von Neuzugängen in das hoch spezialisierte Fachgebiet dauert ein drei Viertel Jahr.

Es geht um eine wichtige öffentliche Leistung: In Berlin wurden Ende vergangenen Jahres rund 415.000 Menschen mit einer Schwerbehinderung gezählt, außerdem fast 210.000 Menschen mit einer leichten Behinderung. Jedes Jahr muss das Lageso 72.000 Anträge auf einen neuen oder geänderten Behindertenausweis bearbeiten – und immer mehr Antragsteller sind Migranten. Die „Stärkung der interkulturellen Kompetenz“ der Sachbearbeiter ist deshalb ein Thema, um das sich die Sozialsenatorin kümmern will. Das gilt besonders für das Kundencenter im Versorgungsamt, in dem täglich mehr als hundert Bürger Beratung suchen. Dort sitzen auch Fachleute, die außerhalb der normalen Besuchszeiten über das Bürgertelefon 115 kontaktiert werden können.

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