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Antwort auf: Europäische Leitlinie zur L-T4 und L-T3-Substitution (2012)

| Beitrags-ID: 349647

Hallo,

Meine Erfahrungen und mein Kommentar:

Es ist bedauerlich, dass bei der Leitlinienerstellung, die die Lebensqualität von Schilddrüsenpatienten betrifft, keine anerkannte Schilddrüsenselbsthilfevereinigung (z.B. Thyroid Federation International) mit einbezogen wurde.
Die Einbeziehung von Selbsthilfeorganisationen gewährt nicht nur eine stärkere Berücksichtigung der Patientenperspektive, sie ist auch nützlich in Hinblick auf ganz praktische Fragen, wie eine Leitlinie bei der Behandlung von Patienten zu benutzen und handzuhaben ist. An vielen Stellen musste ich mühsam die notwendigen Informationen zur Orientierung im Text der Leitlinie oder den zitierten Studien zusammen suchen, welche eigentlich in die Empfehlungen gehört hätten.

Ich selbst nehme mit Unterbrechungen seit mehreren Jahren zusätzlich zu meinem L-T4 auch eine kleine Dosis L-T3. Ich nehme L-T3 weil ich ansonsten ein sehr, sehr langes Mittagstief bei meiner geistigen Leistungsfähigkeit habe.
Ich habe mehrmals auf L-T3 verzichtet, weil es die Ärzte nicht so gern sehen.
Über die Jahre habe ich auch meine Schilddrüsenhormondosis reduziert.
(siehe Studie: Veränderter TSH bei langjähriger Hormoneinnahme)

Von 250µg L-T4 + 20µg L-T3 im Jahr 1999 bin ich nun aktuell bei 125µg L-T4 + 10µg L-T3 ; einem L-T4/L-T3-Verhältnis von 12,5:1; etwas unter dem empfohlen Verhältnis von 13:1, da es Thybon nur als 20µg Tablette gibt, und die sich nur gut halbieren lassen.

Wenn ich das L-T3 weggelassen habe, so habe ich dies nie sofort gemerkt, sondern es war ein sehr langsamer schleichender Prozess über mehrere Wochen und Monate. Die Mittagspausen wurden immer länger und ich interessierte mich dann für so genannte „geistige Stärkungsmittel“ wie Ginseng, die ich dann benutzte, allerdings ohne dass eine wirkliche Besserung eintrat (außer dem Gefühl man tue etwas gegen diese geistige Müdigkeit). Es war wie eine schleichend eintretende Schilddrüsenunterfunktion allerdings nur bei der geistigen Leistungsfähigkeit (im englischen gibt es den Begriff ‚brain hypothyroidism‘, siehe z.B. Bianco 2012), obgleich mein TSH-Wert immer noch unterdrückt war.
(In der richtigen Unterfunktion vor den RJTs hatte ich auch Verdauungsprobleme).

Bei der Reduzierung der L-T4 Dosis traten diese Probleme nie auf.

So bald ich das L-T3 wieder nahm, ging es mir sehr bald wieder besser, und „Ginseng“ und co. habe ich dann einfach wieder vergessen, weil ich es mir gut ging bzw. geht.

Nachdem mir diese Zusammenhänge nach den dritten Auslassversuch von L-T3 bewusst wurden – schließlich liegen zwischen dem Weglassen des L-T3 und dem Aufkommen der Beschwerden mehrere Wochen bis Monate, so dass die Verbindung nicht gleich offensichtlich ist – , bin ich nun nicht mehr bereit auf meine L-T3 Dosis zu verzichten, zu mal ich die „Ginseng“-Zeiten als sehr belastend auch für mein psycho-soziales Wohlbefinden empfunden habe. Überlanges Mittagstief hört sich harmlos an, beeinträchtigt die Lebensqualität jedoch erheblich.
Neu ist für mich, die abendlich Einnahme des fT3. Ich nahm es bisher morgens, und nehme es seit ein paar Tagen nun vor dem Schlafengehen (Erfahrungsbericht folgt in 3 Monaten ;-) ).

Nicht allen Patienten mit verringerter Lebensqualität wird auch mit einer Kombinationstherapie geholfen werden können, ihre alte Lebensqualität wieder zu erreichen. Für diese wird es sicherlich besser sein, wieder zur reinen L-T4-Therapie zurückzukehren.

Für mich besonders bemerkenswert ist, dass in dieser Leitlinie von einem offiziellem Ärztegremium einer anerkannten großen Ärztevereinigung mit Verweis auf Studien (Saravanan 2002 und 2006; Wekking 2005 und Panicker 2009) festgestellt wird, dass es Probleme mit der reinen L-T4-Therapie gibt und diese nicht für alle Patienten optimal ist, und diese Beschwerden für die Betroffenen Patienten ein erhebliches Problem darstellen:

Althoug the magnitude of the problem is limited,the suboptimal outcome of L-T4 treatment might be very relevant for individual patients.

(ebenda S.58; Hervorhebung durch mich)

Obgleich diese Probleme erheblich für die Betroffenen sind, findet dies bislang keine Beachtung im Schwerbehindertenrecht
(siehe auch die Arbeitsgruppe Schwerbehinderung unseres Bundesverbands).

Bei den weiteren notwendigen Studien, die noch durchgeführt werden müssen, stellt sich mir immer auch die Frage, wie man die Beschwerden richtig erfassen kann. Die Unterschiede in der Metaanalyse der RCTs bei den Fragebögen und den Patientenpräferenzen, die ja auch verblindet erhoben wurden, werfen hier weitere Fragen, zur Verbesserung der Erhebungsmethode der Lebensqualität von Schilddrüsenpatienten auf.

Ferner stellt sich mir die Frage, inwieweit geben die individuellen Blutwerte bei der Blutabnahme, den alltäglichen Schilddrüsenstoffwechsel wieder, schließlich ist es nur eine Momentaufnahme. Wichtig ist es sicherlich, dass die Werte innerhalb der Referenzwerte liegen, die ja selbst nur ein statischer Wert sind, in der die Blutwerte der meisten gesunden Menschen liegen.
Wichtig ist aber auch, auf das zuhören was die Patienten empfinden.
Mit dieser Leitlinie ist ein erster Schritt in diese Richtung getan worden.

Für unseren Bundesverband Schilddrüsenkrebs – Ohne Schilddrüsen leben e.V. sowei für die Thyroid Federation International gibt es nun auch die Aufgabe auf die Schilddrüsenhormonhersteller einzuwirken, dass sie in möglichst naher Zukunft L-T3-Präparate in kleineren Dosen anbieten.

Viele Grüße
Harald


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