Update 12.12.2020
Sensible (?) Schilddrüsenhormonsubstitution
Worauf bei Schilddrüsenhormonpräparaten zu achten ist.
[Dieser Beitrag erschien auch in gekürzter Form in unserem www.sd-krebs.de – OFFLINE, Nr. 21, Dezember 2018 sowie in unserer Broschüre: Mit Schilddrüsenhormonen leben!– Inhaltsverzeichnis]
Überblick und einfach erklärt:
siehe folgende Kapitel in unserer Broschüre:Knoten der Schilddrüse und ihre Behandlung
Beobachten oder behandeln/operieren?Ein Überblick, was bei der Einnahme von Schilddrüsenhormonen zu beachten ist, findet man über: FAQ: Häufige Fragen zur Substitution, Medikamenten etc.
Schilddrüsenhormone und Schilddrüsenwerte im Blut
Die Schilddrüse schüttet die Schilddrüsenhormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) in das Blut aus. Während das gesamte T4 aus der Schilddrüse kommt, kommen lediglich 20 % des im Blut zirkulierenden T3 aus der Schilddrüse. In allen Körperzellen, vor allem jedoch in Leber- und Muskelzellen, wird T4 in das aktive Schilddrüsenhormon T3 umgewandelt.
Gesteuert wird die Tätigkeit der Schilddrüse durch den Hypothalamus und die Hirnanhangdrüse. Diese bildet das Hormon TSH (Schilddrüse = Thyroidea (lateinisch) stimulierendes Hormon). Ein Anstieg des TSH veranlasst die Schilddrüse, mehr Schilddrüsenhormone zu bilden, ein Absinken des TSH drosselt hingegen die Hormonproduktion in der Schilddrüse.
Diesen Regelmechanismus möchte man sich bei der Substitution mit Schilddrüsenhormonen zu Nutze machen. Bei der Substitution mit Schilddrüsenhormonen geht man im Allgemeinen von der Annahme aus, dass der TSH-Wert den Bedarf an Schilddrüsenhormonen wiederspiegelt.
Die Substitution mit Schilddrüsenhormonen steht jedoch vor einigen großen Problemen: Es lassen sich zwar Referenzwerte für die Schilddrüsenwerte TSH, ft4 und fT3 im Blut bestimmen, diese bieten für die Schilddrüsenhormonsubstitution jedoch nur eine grobe Orientierung.
- T4 = Tetrajodthyronin = Thyroxin = Schilddrüsenhormon. Die 4 steht für 4 Iodatome, die in dieser Verbindung gebunden sind. Es sind keine Stoffwechselvorgänge bekannt bei denen T4 selbst aktiv beteiligt ist (Depotfunktion).
- T3 = Trijodthyronin = Schilddrüsenhormon. Die 3 steht für 3 Iodatome, die in dieser Verbindung gebunden sind.
- TT4 und TT3: Mit dem voranstehenden T(= Total) wird die Gesamtmenge der Schilddrüsenhormone im Blut bezeichnet. Zu 99 % sind die Schilddrüsenhormone dabei an TBG (= Thyroxin-bindendes-Globulin) gebunden.
- fT4 und fT3: Zur Bestimmung der Schilddrüsenhormonlage werden die freien, nicht gebundenen, Schilddrüsenwerte fT4 und fT3 im Blut bestimmt.
- TBG = Thyroxin-bindendes-Globulin; wie der Name es sagt ist TBG ein Eiweiß, welches das Thyroxin im Blut bindet. 99% der im Blut zirkulierenden Schilddrüsenhormone sind an TBG gebunden. Stoffwechselaktiv sind jedoch nur die freien Schilddrüsenhormone fT4 und fT3. Durch die Bindung an TBG haben die Schilddrüsenhormone eine lange Halbwertszeit (= Zeit bis ein Stoff zur Hälfte abgebaut ist): Bei fT4 beträgt diese 6,7 Tage, durch die geringere Bindung von T3 beträgt die Halbwertszeit von fT3 nur ca. 16 Stunden.
- L-T4 = Levothyroxin ist das synthetisch hergestellte Schilddrüsenhormon T4 (Handelsnamen: L-Thyroxin, Eferox®, Euthyrox®,…; ohne Lactose: L-Thyroxin 1 A Pharma; ab 02/2019: Euthyrox®; siehe ; Weichkapsel: Tirosint .® ab ?
siehe auch: Welche Schilddrüsenhormonpräparate gibt es?)- L-T3 = Liothyronin ist das synthetisch hergestellte Schilddrüsenhormon T3 (Handelsnamen: Thybon®, Cytomel®, …)
- DTE = Desiccated thyroid extract = getrocknete Extrakte aus Schilddrüsen von Schweinen oder Rindern. DTE haben eine wesentlich höhere Konzentration an T3, wie in der europäischen Leitlinie zur L-T4- und L-T3-Substitution aus dem Jahr 2012 empfohlen. DTE müssen aus dem Ausland importiert werden.
- Bioverfügbarkeit: Wenn Medikamente mit der gleichen Dosis eines Wirkstoffs durch die Menschen unterschiedlich gut aufgenommen werden, spricht man von einer unterschiedlichen Bioverfügbarkeit.
Aufgrund der unterschiedlichen Bioverfügbarkeit der Schilddrüsenhormonpräparate dürfen diese in der Apotheke nicht ausgetauscht werden.- Bioäquivalenzgrenzen: Innerhalb einer Produktionscharge und des Haltbarkeitszeitraumes darf es beim zur Verfügung stehenden Wirkstoff nur eine geringe Schwankung geben; bei Schilddrüsenhormonen wurde durch die Aufsichtsbehörden eine Spanne von 90 bis 111 % festgelegt; siehe auch Einführung der geänderten Formel von Euthyrox® zum 2. Q 2019.
Referenzwerte von Laborwerten werden meist in der Weise definiert, dass sich die Werte bei 95 von 100 gesunden Menschen in diesem Bereich befinden. Für die einzelnen Patient*innen gibt es meist jedoch nur einen engeren individuellen Bereich für den TSH-Wert, in dem sie sich wohlfühlen. Am Beispiel eines Einkaufs einer Hose lässt sich dies gut veranschaulichen: Es gibt Konfektionsgrößen von XS bis 4XL für unterschiedlich große Menschen, und die meisten dürften eine Konfektionsgröße von M bis XL benötigen, passen tut dem einzelnen jedoch nur eine Größe, und während die einen sich im Jogginganzug wohlfühlen, fühlen sich andere nur im Maßanzug wohl.
Der TSH-Wert ist allerdings unabhängig von der Einnahme der Schilddrüsenmedikamente am Tag der Blutabnahme. Vielmehr braucht es 4 bis 8 Wochen, bis sich eine Dosisänderung auch im TSH-Wert widerspiegelt.
Zur Kontrolle der Schilddrüsenhormonsubstitution wird daher in erster Linie der TSH-Wert und zusätzlich die freien Schilddrüsenwerte fT4 und fT3 im Blut bestimmt. Bei den freien Werten besteht jedoch das Problem, dass es nach der Einnahme der Schilddrüsenhormone es zu einem Anstieg nach 1 bis 4 Stunden kommt, und erst nach 9 Stunden der Ausgangswert wieder erreicht ist. Die meisten Ärzt*innen empfehlen daher am Tag der Blutabnahme die Hormone erst danach einzunehmen.
Welche Schilddrüsenhormonpräparate gibt es?
In Deutschland werden Schilddrüsenhormonprärate durch eine Vielzahl von Herstellern angeboten. Die Präparate unterscheiden sich in der Dosis, in der Zusammensetzung der Füllstoffe (z. B. mit oder ohne Lactose) und in ihrer Bioverfügbarkeit. Aufgrund der unterschiedlichen Bioverfügbarkeit, darf ein Schilddrüsenhormonpräparat in der Apotheke nicht durch ein Präparat eines anderen Herstellers ausgetauscht werden. Im groben unterscheidet man:
- Reine L-T4-Präparate (als Tablette oder Lösung; in Frankreich, der Schweiz und den USA auch als Weichkapsel)
- Reine L-T3-Präparate (Tabletten oder Lösung)
- L-T4/L-T3-Kombipräparate (Tabletten)
- L-T4-Präparate mit Jod (Tabletten)
- Präparate aus getrockneten, tierischen Schilddrüsen (Tabletten; Import aus dem Ausland);
mehr unter: Welche Schilddrüsenhormonpräparate gibt es?
Mit den derzeit verfügbaren Schilddrüsenhormonpräparaten lassen sich Blutwerte wie bei einer gesunden Schilddrüse nicht herstellen.
Aufgrund seiner Depot-Wirkung werden für die Substitution L-T4-Präparate bevorzugt. Sie haben den Vorteil, dass nur einmal am Tag eine Tablette genommen werden muss. Wenn einmal ein Gleichgewicht aufgebaut ist, dann findet nur sehr langsam ein Abbau statt. Ein einmaliges Vergessen der Tablette ist daher meist kein Problem. L-T4-Präparate sollen nüchtern, mindestens 30 Minuten vor dem Frühstück, am besten nur mit einem mineralarmen Wasser (Leitungswasser), eingenommen werden.
siehe auch: Internationale Umfrage zur Schilddrüsenhormonsubstitution (2020 und 2021)
Bei bestimmten Schilddrüsenkrebspatient*innen wird zu Beginn eine TSH-Unterdrückung angestrebt (TSH ≤ 0,1 mU/l; siehe auch: FAQ: TSH-Unterdrückung nach Schilddrüsenkrebs)
Aufgrund der unterschiedlichen Bioverfügbarkeiten der verschiedenen Präparate, empfiehlt es sich bei der Dosisanpassung möglichst bei einem Hersteller zu bleiben.
Bei Beschwerden hilft manchmal jedoch auch ein Präparatewechsel (z. B. bei Lactoseintoleranz) oder eine Umstellung auf die Abendeinnahme (siehe Forums-Gruppe: Abendeinnahme von L-Thyroxin (L-T4)).
Ca. 5 bis 15 % der Betroffenen haben Probleme mit der reinen T4-Substitution. Hier kann eine Kombination mit einem L-T3-Präparat helfen (siehe Forums-Gruppe: Schilddrüsenhormonsubstitution mit L-T4 + L-T3).
Beschwerden bei zu viel und zu wenig Schilddrüsenhormonen
Ein weiteres Problem ist, dass sich Beschwerden einer falschen Dosierung manchmal erst sehr verzögert zeigen, so dass sie nicht gleich ursächlich einer Dosisänderung zugeordnet werden. Auch besteht das Problem, dass ein zu viel oder zu wenig an Schilddrüsenhormonen sich nicht bei allen Betroffen in Beschwerden äußern, es jedoch Langzeitfolgen gibt (zu den Problemen einer TSH-Unterdrückung siehe auch: Individualisierte Risikoabwägungen bei der TSH-Unterdrückung)
Wechselwirkungen mit anderen Präparaten und Nahrungsmitteln
Professor Köhrle schätzt, dass mehr als 100 Substanzen Einfluss auf die Schilddrüsenlaborwerte haben.
Für die Wechselwirkungen gibt es Online-Programme:
Zu beachten ist ferner, dass bestimmte Nahrungsmittel und Medikamente die Aufnahme von L-T4 im Dünndarm hemmen (bei L-T3 bestehen diese Probleme nicht). Es ist daher auf ein zeitlichen Abstand zur Einnahme der Schilddrüsenhormone zu achten und gegebenenfalls die Schilddrüsenhormondosis anzupassen:
Andere Medikamente stören die Umwandlung von T4 in T3:
Und dann gibt es noch Medikamente und Nahrungsmittel, die die Bindung der Schilddrüsenhormone an TBG beeinflussen:
Niedrige TBG-Konzentrationen können bewirkt werden durch:
Außerdem kann die Wirkung von anderen Medikamenten durch L-T4 beeinflusst werden:
Die Dosis der blutgerinnungshemmenden bzw. blutzuckersenkenden Medikamente muss daher unter einer L-T4-Substitution gegebenenfalls angepasst werden (Janssen 2016, S. 144f)
Weiterführende Forums-Beiträge/Leitlinien/Quellen/Literatur:
Quellen/Literatur:
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