Die Prognose beim anaplastischen Schilddrüsenkarzinom (ATC) war bislang sehr schlecht. Jährlich erkranken ca. 200 Frauen und Männer an dieser sehr seltenen Art des Schilddrüsenkrebs. Nur wenn der Tumor im frühen Stadium vollständig chirurgisch entfernt werden kann, besteht etwas Hoffnung diesen Krebs zu überleben. Da das ATC sehr schnell und sehr invasiv wächst, haben ca. 90% der Betroffenen zum Zeitpunkt der Diagnose bereits lokale Metastasen oder Fernmetastasen. Aufgrund des invasiven Wachstums ist die vollständige chirurgische Entfernung des Tumors (= R0-Resektion) kaum möglich, meist bleibt ein kleiner (R1) oder größerer Rest (R2) des Tumors im Körper. Nur 17% der Patient*innen im fortgeschrittenen Stadium IVC mit Fernmetastasen, sind sechs Monate später noch am Leben (nach Daten aus dem Deutsch Studienregister 2000-2015). Auch von den Betroffenen im Stadium IVB mit lokaler Ausbreitung leben nach sechs Monaten nur noch ca. 54%. Nach fünf Jahren leben gar nur noch 5% aller Patient*innen mit der Diagnose ATC (Wendler 2016).
Andere Namen für den anaplastischen Schilddrüsenkrebs:
• undifferenziertes Schilddrüsenkarzinom
• entdifferenziertes Schilddrüsenkarzinom
• englisch: anaplastic thyroid cancer (ATC); diese Abkürzung wird auch im Deutschen häufig benutzt
Bei einem ATC liegen eine Vielzahl unterschiedlichster Gen-Veränderungen vor, die ganz unterschiedlich auch in den Tumoren des ATC vorkommen. Die genaue Ursache, warum dieser Krebs so schnell und aggressiv wächst, ist noch unbekannt. Bei einem Teil des ATC kommt ähnlich wie bei einem Teil des papillären Schilddrüsenkrebs eine BRAF V600E Mutation vor. Ebenso kommt diese Mutation auch bei anderen Krebsarten vor, z. B. dem Melanom. Eine BRAF V600E-Mutation allein lässt beim papillären Schilddrüsenkarzinom (PTC) keine Aussage über die Prognose und Aggressivität zu. Die Ärzt*innen wissen zwar, dass bei Hinzukommen einer TERT-Mutation das PTC weniger gut auf die Radioiodtherapie anspricht und aggressiver ist, dennoch ist dieses PTC nicht so aggressiv wie das ATC.
Wissensbereich – Überblicksartikel:
Eine BRAF-Mutation kommt beim ATC bei ca. 20% bis 50% vor, und sagte vor der neuen Therapie nichts über die Prognose aus. Betroffene mit einem ATC und einer BRAF V600E Mutation hatten eine genauso schlechte Prognose wie Betroffene ohne diese Mutation (Wang 2022).
Aufgrund der schlechten Prognose wird in den Leitlinien ein interdisziplinäres Team für die Behandlung des ATC gefordert, in dem Psychoonkologie und Palliativmedizin von Beginn an mit eingebunden sind und mit den Betroffenen, das Für und Wider von aggressiven und palliativen Therapien besprechen.
Auch diese neue neoadjuvante Therapie, von der hier die Rede ist, wird vermutlich nur für einen kleinen Teil der Betroffenen eine Heilung bedeuten, die zuvor nicht denkbar war. Den meisten jedoch wird diese neue Therapieoption einige Monate mehr Leben geben, unter besserer Lebensqualität als mit den Therapien zuvor.
In der sogenannten ROAR-(= Rare Oncology Agnostic Research) Studie (NCT02034110) wurden seit 2014 verschiedene seltene Krebsarten – u.a. auch das ATC – mit dem BRAF-Inhibitor Dabrafenib (Handelsname: Tafinlar®) in Kombination mit dem MEK-Inhibitor Trametinib (Mekinist®) – kurz: DT-Therapie – behandelt. Wesentliche Einschlusskriterien waren, dass die Tumore eine BRAF-Mutation aufweisen und diese in einem fortgeschrittenen, nicht operablen Stadium sein mussten. Erste Ergebnisse wurden im Jahr 2017 publiziert und waren so ermutigend, dass noch weitere Patient*innen mit ATC in die Studie aufgenommen wurden. Obgleich diese einarmige Studie die üblichen Ansprüche einer medikamentösen Therapie nicht gänzlich erfüllt, sprach die amerikanische Zulassungsbehörde FDA im Jahr 2018 eine Zulassung für diese Therapiekombination beim nicht-operablen ATC aus. Einen Zulassungsantrag für das ATC, durch das pharmazeutische Unternehmen, bei der EMA gibt es bislang nicht.
Jahr 2022 wurden von Subbiah die finalen Ergebnisse der ROAR-Studie publiziert. Von 36 Patient*innen mit dem ATC waren 35 im Stadium IVC, bei einem war das genaue Stadium IV nicht bekannt. Alle Patient*innen hatten mehr als eine Therapie vor der DT-Therapie. 83 % hatten eine Operation und eine Strahlentherapie. Zum Zeitpunkt des Einschlusses in die ROAR-Studie waren im Mittel bereits 4,1 Monate (125 Tage) vergangen. Die Spanne reichte allerdings von 14 Tagen bis über 12 Jahre. Nach 12 Monaten unter der DT-Therapie lag bei 43% kein weiterer Progress des ATC vor und 53% der Patient*innen waren noch am Leben.
Der britische National Health Service (NHS) hat 2022 entschieden, dass Betroffenen eine Therapie schnellstmöglich angeboten werden soll. Grundlage für diese Entscheidung war u.a. eine retrospektive Auswertung (Lorimer, C, et al. 2023) von 17 Patient*innen in Großbritannien mit einem inoperablen BRAF V600E positiven ATC, die zwischen August 2018 und Oktober 2021 mit der DT-Therapie behandelt wurden. Bei 12 Betroffenen konnte einen neoadjuvante Therapie, d.h. eine chirurgische Entfernung des Tumors durchgeführt werden, Vier hatten eine R0-, Sieben eine R1- und einer eine R2-Resektion. Von den 17 Patient*innen sind mittlerweile 10 verstorben, jedoch sind weitere 7 Betroffene am Leben, und ein kleiner Teil davon vermutlich auch geheilt. Auch die verstorbenen Patient*innen haben von dieser Therapie profitiert:
Nach einer mindestens vierwöchigen Kombinationstherapie mit einem BRAF-Inhibitor (Vemurafenib, Dabrafenib, and Encorafenib) und Trametinib (BIT) war bei ca.70% der Patienten eine Resektion möglich (Zhao 2023).Die ersten Fallberichte zur neoadjuvanten Therapie zeigten, dass der Tumor, sogar bei Ausbreitung mit Fernmetastasen, lokal kontrolliert werden konnte. Dadurch war eine Tracheotomie (Luftröhrenschnitt), welche sonst gemacht werden muss, damit die Betroffenen am Tumor nicht ersticken, weniger häufig notwendig war (Wang 2019).
Die DT-Therapie hat allerdings auch Nebenwirkungen (Fatigue, Fieber, Übelkeit, …), dementsprechend musste bei fast allen Patient*innen die Dosis etwas reduziert und auch zeitlich unterbrochen werden. Ferner bilden sich Resistenzen, weshalb die Kombinationstherapie dann nicht mehr wirkt.
Der Nutzen kann allein mit historischen Daten verglichen werden, da es bislang keine verblindete zweiarmigen Studie auf Grund der Seltenheit gibt. Allerdings ist ein gewisser Nutzen offensichtlich, so dass mehrere nationale und internationale Leitlinien empfehlen, diese DT-Therapie so bald wie möglich einzusetzen, wenn der Tumor nicht operabel ist.
Zudem gibt es weitere kleine einarmige Studien mit anderen BRAF- und MEK-Inhibitoren, sowie mit ergänzenden Antikörper-Therapien. Die Studienergebnisse dieser einarmigen Studien sind bzw. werden jedoch nur schwer, wenn überhaupt zu vergleichen sein.
Auf dem ATA-Kongress 2023 wurden retrospektive Daten zu drei verschiedenen Behandlungsalternativen präsentiert (von Sarah Hamidi, MD Anderson Cancer, Houston Texas). In die retrospektive Auswertung gingen 94 Patient*innen mit einem anaplastischen Schilddrüsenkrebs (ATC) und eine BRAF-Mutation ein, die zwischen 2014 und 2023 behandelt wurden. Es wurden folgende 3 Gruppen verglichen.
Aufgrund der geringen Anzahl und des retrospektiven Daten sind folgende Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. Es zeigt sich zum einen:
Quelle: Medscape 29.09.2023
Wünschenswert sind größere prospektive zweiarmige Studien, in der die unterschiedlichen neuen Medikamente miteinander verglichen werden. Aber auch dies dürfte eine sehr große Herausforderung sein, da der Faktor Zeit bei diesem Tumor von so großer Bedeutung ist.
Unser Bundesverband setzt sich daher dafür ein, dass die Betroffenen mit einem ATC und einer BRAF-Mutation schnellstmöglich Zugang zur DT-Therapie erhalten. Einige Kliniken setzen die DT-Therapie bereits sofort ein, ohne die Bewilligung durch die Krankenkassen abzuwarten. Unserem Bundesverband sind bislang keine ablehnenden Bescheide durch die Krankenkassen bekannt geworden. Falls es zu ablehnenden Bescheiden durch die Krankenkassen kommt, helfen wir mit dem Widerspruch.
Quellen:
Studien
Dieser Artikel erschien in unserem www.sd-krebs.de – OFFLINE, Nr. 29, August 2023
Übersicht unserer Offflines: Forenthema: www.sd-krebs.de – Offline – Inhalt (Übersichten)
25 Jahre – Ohne Schilddrüse leben – Überblick unserer Veranstaltungen
Herbsttreffen und Symposium in Augsburg
Als Verein sind wird stärker: Vereinsmitglied werden
Hallo,
habe folgendes Update:
Auf dem ATA-Kongress 2023 wurden retrospektive Daten zu drei verschiedenen Behandlungsalternativen präsentiert (von Sarah Hamidi, MD Anderson Cancer, Houston Texas). In die retrospektive Auswertung gingen 94 Patient*innen mit einem anaplastischen Schilddrüsenkrebs (ATC) und eine BRAF-Mutation ein, die zwischen 2014 und 2023 behandelt wurden. Es wurden folgende 3 Gruppen verglichen.
Aufgrund der geringen Anzahl und des retrospektiven Daten sind folgende Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. Es zeigt sich zum einen:
Quelle: Medscape 29.09.2023
Wir haben ja beim G-BA den Off-Label-Use von Dabrafenib und Trametinib beantragt, damit diese möglichst schnell diese Therapie bekommen. Beim Pembrolizumab scheint der Zeitfaktor nicht so bedeutend zu sein.
Es bleibt zu hoffen, dass es noch größere prospektive Studien gibt, um die Therapie mit Dabrafenib und Trametinib noch besser zu machen.
Wiki: Dabrafenib (Tafinlar®) und Trametinib (=Mekinist®)- Übersichtsartikel
Viele Grüße
Harald
25 Jahre – Ohne Schilddrüse leben – Überblick unserer Veranstaltungen
Herbsttreffen und Symposium in Augsburg
Als Verein sind wird stärker: Vereinsmitglied werden
Ich selbst habe „nur“ ein follikuläres und bin in Heilgsbewährung mit sehr guter Prognose. Seit letztem Montag hat aber nun mein Opa die Diagnose anaplastisches mit Fernmetastasen. Der Hals ist komplett geschwollen, die Stimme heiser, er kann kaum schlucken und sprechen. Montag ist er beim Onkologen. Er ist 85 Jahre jung.
Vorausgegangen war eine Einweisung ins Krankenhaus letzte Woche mit Atemnot wegen einer starken Halsschwellung. Vorger gab es keine Auffälligkeiten oder sichtbare Signale für SD-Krankheiten. MRT und Feinnadelbiopsie ergaben die Diagnose. Die Metastasen seien in Lunge und Leber. Er bekommt aktuell Flüssignahrung. Alles was ich lese ist nicht gut. Der Hausarzt sagte „er solle seine Dinge regeln“. Mein Opa gibt gerade auf und resigniert. Seit letzter Woche sind 5kg runter. Hat jemand auf dem Gebiet Erfahrung? Wir wohnen in Berlin. Gibt es Kliniken in Berlin, die die DT-Therapie anwenden?
Dankeschön!
Hallo Susanne Bfndz,
wichtig ist, diese Therapie hat nur eine Chance, wenn bei deinem Opar eine BRAF-Mutation vorliegt, und wenn die Therapie möglichst schnell begonnen wird.
Der Tumor bei Deinem Opa ist allerdings schon sehr weit fortgeschritten. Er scheint ja schon in einer Klinik in Berlin zu sein, und diese Klinik sollte eben schon geschaut haben, ob die BRAF-Mutation vorliegt, und dann entsprechend sofort mit der Therapie beginnen.
Viele Grüße
Harald