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Partizipative Entscheidungsfindung beim papillären Mikrokarzinom (Koot 2022)

Auf europäischer Ebene hat mit Hilfe finanzieller Unterstützung der niederländischen Krebshilfe, Dutch Cancer Society, die Endocrine Task Force of the European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) ein Positionspapier erstellt, wie sich eine Partizipative Entscheidungsfindung beim papillären Mikrokarzinom (PTMC) bewerkstelligen lässt.

Beteiligt an diesem Positionspapier waren Expertinnen aus den Niederlanden, Portugal, Israel, Frankreich, Polen und Deutschland (Prof. Luster) sowie Patientenvertreter*innen aus den Niederlanden (Frans Geenen, SON), Frankreich (Beate Bartѐs, VST) und Deutschland (Harald Rimmele, BV SD-Krebs):

Koot, A, et. al, 2022, Position paper from the Endocrine Task Force of the European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) on the management and shared decision making in patients with low-risk micro papillary thyroid carcinoma
in: European Journal of Cancer, Available online 15 November 2022, DOI: 10.1016/j.ejca.2022.11.005

Shared Decision Making (SDM)

Für Partizipative Entscheidungsfindung wird vielfach auch im deutschen der englische Fachbegriff Shared Decision Making (SDM) benutzt, um eine gemeinsame Entscheidungsfindung für oder gegen eine Therapie durch Ärzt*innen und Patient*innen zu beschreiben.

Im Arzt-Patienten-Gespräch sollten dabei Expertenwissen und Präferenzen der Betroffenen zusammenkommen. Eine solche partizipative Entscheidungsfindung ist eigentlich bei jeder Entscheidung für eine Diagnostik oder eine Therapie wünschenswert, je mehr jedoch eine Diagnostik oder Therapie in die Lebensqualität eines Betroffenen eingreift, umso wichtiger ist SDM.

Papilläres Mikrokarzinom und Therapieoptionen

Beim papillären Schilddrüsenmikrokarzinom mit einem geringen Risiko für ein Rezidiv und einem geringen Risiko an diesem Krebs zu sterben, haben sich die Empfehlungen in nationalen und internationalen Leitlinien in den letzten Jahren/Jahrzehnten geändert, hin zu einer weniger aggressiven Therapie: Stehen doch die Nebenwirkungen der radikalen Therapien in einem sehr ungünstigen Verhältnis zu möglichen Vorteilen.

Zu der früher vorherrschenden totalen Entfernung der Schilddrüse (Total- Thyreoidektomie = TT), mit und ohne Radioiodtherapie (RIT), sind nun weniger aggressive Therapien hinzugekommen:

Unter Thermoablation werden verschiedene Verfahren zusammengefasst, die durch Überhitzung Gewebe, hier Knoten der Schilddrüse zerstören:

Diesen Verfahren ist gemein, dass nur der Knoten zerstört wird, und keine genaue Diagnostik des Tumor über die Ergebnisse der Feinnadelpunktion hinaus möglich sind. Es gibt bislang keine direkt vergleichenden prospektiven Studien zu den anderen Verfahren (siehe auch XXXX)

Bei der aktiven Beobachtung werden Knoten bis 1cm entweder nicht punktiert oder wenn sie punktiert werden, wird auch bei einem hohen Verdacht auf ein Schilddrüsenkarzinom, der Knoten lediglich per Ultraschall weiter engmaschig beobachtet und erst zu einem späteren Zeitpunkt bei einem Größenwachstum oder bei Patientenwunsch chirurgisch entfernt. Zur aktiven Beobachtung gibt es eine Reihe guter Studien, insbesondere aus Japan, wo die aktive Beobachtung erstmals an Zentren eingeführt wurde.

Ein Problem bei der aktiven Beobachtung ist, dass die 1cm Größe des Tumors ein willkürlicher Grenzwert ist, und das Risiko für ein Wiederauftreten des Krebses oder gar Fernmetastasen ein Kontinuum darstellen und andere Faktoren wie Größe (z. B. Mutationen, Lage des Tumors) ebenso eine Rolle spielen.

Auch zum Vergleich zwischen Hemi- und Totaler-Schilddrüsenoperation gibt es bislang nur retrospektive Auswertungen. Solche Auswertungen im Nachhinein bergen immer hohe Risiken, dass andere Faktoren für die Therapiewahl nicht korrekt berücksichtigt werden. Es gibt allerdings nun in Großbritannien eine laufende prospektive randomisierte Studie, die Hemi- und Totale-Schilddrüsenoperation bei papillären Schilddrüsenkarzinomen bis zu einer Größe von 4cm (pT1b-T2) miteinander vergleichen wird (HoT; NCT05604963). Die Studie rekrutiert noch Patient*innen. Das primäre Studienergebnis ist, die Rezidivrate 3 Jahre nach der Operation zu vergleichen. Diese Ergebnisse erhoffen die Forscher der HoT-Studie im Jahr 2028 zu bekommen. Das zweite Studienergebnis ist die Rezidivrate nach 5 Jahren, hier erhofft man sich im Jahr 2031 die Ergebnisse zu bekommen.

Auf Grund der langen Beobachtungszeiten, die beim Schilddrüsenkrebs notwendig sind, da die Tumore sehr langsam wachsen und Rezidive entsprechend später auftreten, braucht es noch sehr viel Geduld, bis Ergebnisse so eindeutig sind, dass es starke Empfehlungen für oder gegen eine Therapie geben wird.

Bessere Entscheidungsfindung

Ärztin erklärt Patientin die Behandlung

Wie derzeit eine gute partizipative Entscheidungsfindung stattfinden und verbessert werden kann, hat sich auf europäischer Ebene die Endocrine Task Force of the European Organization for Research and Treatment of Cancer (EORTC) zur Aufgabe gestellt und dazu ein Positionspapier erstellt.

Beteiligt an diesem Positionspapier waren Expert*innen aus den Niederlanden, Portugal, Israel, Frankreich, Polen und Deutschland (Prof. Luster, Marburg) sowie Patientenvertreter*innen aus den Niederlanden (Frans Geenen, SON), Frankreich (Beate Bartѐs, VST) und Deutschland (Harald Rimmele, BV SD-Krebs).

Es wurde hierzu unter Ärzt*innen der Stand derzeitiger Behandlung beim Mikrokarzinom abgefragt und deren Einstellung zu SDM. Ferner wurde nach möglicher Evidenz für die Bedürfnisse der Patient*innen sowie verfügbaren Entscheidungshilfen gesucht. Ziel ist Behandler*innen praktische Vorschläge zu geben, damit SDM mit den Patient*innen gelingen kann.

Neben relativ einfach zu beseitigen Barrieren für SDM, wie Schaffung einer ruhigen Gesprächssituation mit entsprechender Zeit, sind anderen Barrieren schwieriger beizukommen. Zum Beispiel ist die in der Öffentlichkeit weit verbreitete Vorstellung der Früherkennung und Frühbehandlung als ein wichtiges Ziel der Krebsbehandlung – welches z. B. beim Darmkrebs auch als vorteilhaft erwiesen ist – ein großes Hindernis bei der Abwägung von Therapien beim papillären Mikrokarzinom, die weniger radikal sind.

Viele Behandler*innen wissen zudem nicht, was sind die Bedürfnisse der Patient*innen, während die Patient*innen wiederum nicht wissen, was sie fragen können. Gerade zu Beginn einer Behandlung werden die Betroffenen mit einer Vielzahl von zum Teil komplexen Informationen überhäuft, was ein SDM erschwert.

Die europäische Arbeitsgruppe hat für die Behandler*innen u. a. auch eine übersichtliche Tabelle erstellt, in der zu den obigen Therapie-Optionen, jeweils aufgelistet wird:

  • für welche Patient*innen, welche Therapieoption eher geeignet ist (Alter, Ko-Erkrankungen, Bestrahlung am Hals im Kindes- und Jugendalter, Schilddrüsenkrebs in der Familie),
  • bestimmte pathologische Merkmale, Subtypen des papillären Schilddrüsenkrebses, welche aggressiver sind,
  • bestimmte Merkmale im Ultraschall
  • Qualität des Behandlerteams (Häufigkeit von Operationen, Ultraschall, …)
  • Dauer der Behandlung
  • Nebenwirkungsrate der Therapien, vor allem von:
    • Permanente Verletzung des Stimmbandnervs
  • Verzögerung einer Schilddrüsenoperation in Prozentwerten
  • Auftreten von „Rezidiven“ in Prozentwerten je nach Therapie unterteilt in:
    • Auftreten von Fernmetastasen
  • Kosten der Therapie
  • Kosten der Nachsorge

Für die Nachsorge bezüglich eines Rezidivs wurden Studien herangezogen mit einer Nachsorge von mindestens 5 Jahren.

Unser Bundesverband hat zur Verbesserung der Arzt-Patienten-Gespräche sowohl ein Merkblatt als auch eine Broschüre für Ärzt*innen aus Endokrinologie, Chirurgie und Nuklearmedizin erstellt. In unserem Merkblatt für die Patient*innen haben wir exemplarisch Fragen an die Behandler*innen aufgelistet. Mitarbeit ist gefragt, hier noch weitere konkretere Fragen für das papilläre Mikrokarzinom aufzuführen. Bitte melden unter Forenthema: Exemplarische Fragen zur Wahl der Therapie beim papillären Mikrokarzinom der Schilddrüse – Mitarbeiter*innen gesucht


Autor: Harald | Arbeitsgruppe: Arbeitsgruppe Kommunikation | Letzte Aktualisierung: 05.09.2023 von Harald W-Nummer: 433686

Wiki: Partizipative Entscheidungsfindung (shared decision-making) – Übersicht


Autor: Harald | Arbeitsgruppe: Arbeitsgruppe Kommunikation | Letzte Aktualisierung: 05.09.2023 von Harald W-Nummer: 433686

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