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Studie: Papillärer SD-Krebs Registerstudie (Davies 2010)

Studie: Papillärer SD-Krebs Registerstudie (Davies 2010)

| Beitrags-ID: 248763

Dies ist eine retrospektive Studie, welche Daten des National Cancer Institute’s Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER) auswertete.

Wie jeder retrospektive Studie hat diese Studien erhebliche Schwächen, die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studie sind daher mit großer Vorsicht zu genießen.

Ausgangspunkt der Überlegungen für dieser Studie ist die viel zitierte finnische Studie an Leichen von Harach et.al (Cancer 1985). Harach und Kollegen fanden in 35,6% der Schilddrüsen von Verstorbenen papilläre Tumore (67% kleiner als 1mm)

Davies und Welch stellten die Fragestellung auf, ob papilläre Schilddrüsenkarzinome (jeder Größe; jedoch auf die Schilddrüse beschränkt; also keine Lymphknotenmetastasen) überhaupt behandelt (Operative Entfernung eines Teils- oder der ganzen Schilddrüse) werden müssen, oder ob zunächst eine Beobachtung ausreichend sei.

Sie werteten dazu die Daten des SEER aus den Jahren 1975 bis 2005 aus, und kamen zu folgenden Ergebnissen:

  • von 35.223 Patienten mit papillären Schilddrüsenkarzinom beschränkt auf die Schilddrüse und mit einer Therapie (Operation) starben 161 an ihrem Schilddrüsenkrebs. Dies ist eine Überlebensrate von 99% nach 20 Jahren. Dieser Wert kann mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% auch zufallsbedingt zwischen 93% und 100% liegen (siehe Konfidenzintervall).
  • 440 Patienten, bei denen das papilläre Schilddrüsenkarzinom per Biopsie oder anderen Methoden (s.u.) festgestellt wurde und sich „keiner Behandlung“ (s.u.) unterzogen, starben 6 Personen an ihrem Schilddrüsenkrebs. Dies ist nach 20 Jahren eine Überlebensrate von 97% (bei einem Konfidenzintervall von 95%: 96%-100%).

Der Unterschied von 2% Prozent ist mit hoher Wahrscheinlichkeit (um die 95%) statisch nicht von Bedeutung und kann auch zufällig sein.

Davies und Welch kommen daher zur Schlussfolgerung, dass papilläre Schilddrüsenkarzinome egal welcher Größe (!), solange es auf die Schilddrüse begrenzt ist, nicht sofort operiert werden muss, sondern auch erst beobachtet werden kann.

In der selben Ausgabe von Arch Otolaryngol Head Neck Surg. (2010) gibt es auch eine Erwiderung von Erich M. Sturgis and Steven I. Sherman:
Should Papillary Thyroid Carcinoma Be Observed?: A Word of Caution: Comment on „Thyroid Cancer Survival in the United States“ (über Suchmaschinen kann man diesen Artikel auch finden, obgleich er eigentlich nicht frei erhältlich ist)

Leider offenbaren Sturgis und Shermann in ihrer Erwiderung ein sehr mangelndes Verständnis von statistischen Methoden, wenn sie die Frage aufwerfen, dass zwar 2 Prozent unterschied nicht groß seien, jedoch was würden die 2 Prozent der betroffenen Patienten sagen, die dann durch Schilddrüsenkrebs mehr sterben würden.

Eine solche Fragen kann man jedoch überhaupt nicht stellen, weil es diese 2%-Unterschied mit einer hohen Wahrscheinlichkeit (um die 95% ; siehe Konvidenzintervall) überhaupt nicht gibt.
Allerdings unter der Voraussetzung, dass diese statischen Methoden korrekt auf die vorhanden Daten angewendet wurden.

Und hier ist das eigentlich Problem dieser Studie, die nach meiner Ansicht die Ergebnisse der Studie sehr in Zweifel ziehen.

Folgende Probleme, zum Teil auch von Davies und Welch selbst eingeräumt gibt es:

  1. Bei den Patienten, die sich keiner Behandlung nach Studienprotokoll (Teil- oder Totaloperation der Schilddrüse) unterzogen, wurde das papilläre Schilddrüsenkarzinom entweder durch eine Feinnadelpunktion oder durch eine Operation festgestellt, bei der nur der Knoten entfernt wurde (siehe Enukleation)
    Auch wenn diese operative Methode nicht in Leitlinien empfohlen wird, so ist auch eine solche Entfernung des Knotens durchaus als eine definitive Therapie des papillären Schilddrüsenkarzinoms anzusehen.
    Davies und Welch können hierzu keine Daten liefern, da diese nicht erhoben wurden.
    Dies ist die größte Schwachstelle, und macht die Auflistung weiterer Schwachpunkte eigentlich nicht mehr nötig.
  2. Todesfälle beim papillären Schilddrüsenkarzinom treten oft erst nach mehreren Jahren auf. Die Studie suggeriert, dass eine große Zahl (440) von Patienten über einen langen Beobachtungszeitraum (1978-2005) erfasst wurden. 20 Jahre Beobachtung haben jedoch nur Patienten, die bis zum Jahr 1990 diagnostiziert wurden. Tatsächlich dürfte daher die Zahl der Patienten, die über einen längeren Zeitraum betrachtet wurden, wesentlich geringer sein.
    Allein aus der Gruppe derjenigen, die nach Davies und Welch sich keiner Therapie unterzogen, starben in den ersten zwei Jahren nach Diagnose über 30% an einer anderen Krankheit (und auch an Schilddrüsenkrebs). Bedenkt man, dass unter den 440 Patienten, die sich keiner definitiven Therapie unterzogen, ein Teil gar durchaus eine Therapie hatte (siehe Punkt 1), so wird die Anzahl der Patienten mit einem langen Beobachtungszeitraum ohne Therapie noch kleiner.
    Je kleiner die beobachte Gruppe ist, desto größer wird jedoch das Konfidenzintervall, d.h. Abweichungen können dann in einer größerem Intervall zufällig auftreten. Womit ich bei Punkt 3 wäre:
  3. In der Zusammenfassung wird behauptet, das Konfidenzintervall bei der kleinen Gruppe sei 96%-100%, in der größeren Gruppe wird hingegen ein Konfidenzintervall von 93%-100% angegeben. Nach meinen bescheiden statischen Kenntnissen kann dies logischer Weise jedoch nicht sein, dieser Unterschied muss ein Schreibfehler oder sonst ein statistisches Artefakt sein.
  4. Eine weitere sehr große Schwachstelle dieser Studie ist, dass Patienten mit Lymphknotenmetastasen (20.460) und Fernmetastasen (2.355) nicht in die Studie eingeschlossen wurden. Lymphknotenmetastasen beim papillären Schilddrüsenkarzinom im zentralen Kompartiment sind häufig und oftmals im Ultraschall nicht sichtbar.
    In den USA wird die prophylaktische zentrale Lymphknotendissektion im Zuge einer totalen Thyreodektomie bzw. Komplettierungsoperation bei papillären Primärtumoren der TNM-Klassifikation T3 und T4 empfohlen (siehe dazu FAQ: Komplettierungsoperation und Lymphknotendissektion).
    Lymphknotenmetastasen werden so erst durch die Operation gefunden. Davies und Welch schließen jedoch diese Patienten durch ihr Studiendesign aus, obgleich sie gerade den Erfolg der Operation für die Therapie des papillären Schilddrüsenkarziom untersuchen wollen.
    Diese Selektion von Patienten für eine Studie im Nachhinein ist ein wesentlicher Grund, warum die evidenz-basierte Medizin retrospektive Studien generell nicht akzeptiert, sondern lediglich prospektive Studien, in denen Die Patienten per Zufall in die eine oder andere Gruppe eingeteilt werden. ( FAQ-Hilfe: EBM – Was sind patientenrelevante Endpunkte?).

    ..

Mein abschließender Kommentar:
Dies ist von meiner Seite nun absolut kein Plädoyer, dass man papilläre Schilddrüsenkarzinome jeglicher Tumorgröße mit einer verblindeten Studie, per Zufall operieren sollte oder nicht.
Auch spreche ich mich nicht gegen retrospektive Studien aus Registern aus.
Allerdings bin ich doch erstaunt, dass eine solche Studie es überhaupt in eine medizinische Fachzeitschrift geschafft hat, da in meinen Augen hier doch schwerwiegende Mängel im Studiendesign vorliegen.

Viele Grüße
Harald

Update: 23.5.2011: Punkt 4 und Kommentar


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Maria2
Moderator
pap. Karzinom pT3 tall-cell-Variante

Antwort auf: Studie: Papillärer SD-Krebs Registerstudie (Davies 2010)

| Beitrags-ID: 339627

Hallo Harald,

was mir (als „tall-cell-Variantler“ 😉 ) auch auffällt: Die gehen überhaupt nicht auf irgendwelche Unterarten des papillären Karzinoms ein, sondern scheren alles über einen Kamm. Und gerade bei den „gefährlicheren“ Unterarten (wie eben tall cell oder oxyphil) kann ich mir absolut nicht vorstellen, dass es keinen Unterschied macht, ob und wann man operiert.
Das waren vielleicht auch die „statistisch vernachlässigbaren“ 2 % Unterschied :nut:

Viele Grüße,
Maria

Antwort auf: Studie: Papillärer SD-Krebs Registerstudie (Davies 2010)

| Beitrags-ID: 339628

Das waren vielleicht auch die „statistisch vernachlässigbaren“ 2 % Unterschied

Hallo,

es ist ganz wichtig zu Begreifen, dass es nicht darum geht, 2% sei eine kleine Zahl, sondern darum dass der Unterschied von 2 % auch zufällig sein kann, dass Ergebnis genau so gut – zufällig – auch anders sein könnte.
Mit statistischen Methoden lässt sich kein Unterschied feststellen.

Das eigentlich Problem bei dieser Studie ist jedoch, dass statistischen Methoden auch richtig auf die Grundgesamtheit angewandt werden. Da habe ich bereits einiges aufgelistet.

Ob im amerikanischen Studienregister „Tall Cell“ zum papillären Schilddrüsenkarzinom gezählt wird oder nicht, weiß ich nicht.
Ich vermute mal, eher nicht.

Wenn ja, so ist jedoch davon auszugehen, dass den Patienten allen die Schilddrüse komplett entfernt wurde und auch eine RJT erhielten.
Und damit wäre diese aggressivere Variante ungleich auf die beiden Behandlungsgruppen verteilt, so dass die Gruppe ohne OP besser wegkommt.
Und das darf man eben nicht machen, wenn man zwei Behandlungsalternativen vergleicht.

Viele Grüße
Harald

Anonym
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