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Lebensqualität und Schilddrüsenwerte im Blut Warum ein einzelner Blutwert wenig Aussagekraft hat (Offline Nr. 10, 6.2013)

  • Dieses Thema hat 1 Antwort und 2 Teilnehmer, und wurde zuletzt aktualisiert 14.06.2024 - 18:00 von Anonym.
HaraldBundesgeschäftsführer
Leitungsteam SHG Berlin
follikulärer SD-Krebs 1997 (oxyphil), Zungengrundkrebs 2024

Lebensqualität und Schilddrüsenwerte im Blut Warum ein einzelner Blutwert wenig Aussagekraft hat (Offline Nr. 10, 6.2013)

| Beitrags-ID: 252248

Lebensqualität und Schilddrüsenwerte im Blut
Warum ein einzelner Blutwert wenig Aussagekraft hat

(Dieser Beitrag erschien in unserem Nr. 10, Juni 2013, www.sd-krebs.de – Offline – Inhalt (Übersichten))

Überblick und einfach erklärt:

siehe folgende Kapitel in unserer Broschüre:

Knoten der Schilddrüse und ihre Behandlung
Beobachten oder behandeln/operieren?

Ein Überblick, was bei der Einnahme von Schilddrüsenhormonen zu beachten ist, findet man über:

Lebensqualität und Schilddrüsenwerte im Blut
Warum ein einzelner Blutwert wenig Aussagekraft hat

In der letzten Ausgabe unseres OFFLINE (Nr. 9) haben wir die Europäische Leitlinie zur L-T4 und L-T3-Substitution thematisiert. Für diese neue Leitlinie, war vor allem eine neuere Studie aus Dänemark (Nygaard, 2009) ausschlaggebend, die in der Substitution das Ziel verfolgte, annähernd ein gleiches Verhältnis der freien Schilddrüsenwerte fT4 zu fT3 wie bei Gesunden zu erreichen.

Auf unserem 6. GruppenleiterInnentreffen in Hamburg (März 2013) haben wir Professor Brabant, von der Klinik für Experimentelle und klinische Endokrinologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, gebeten, uns die Hintergründe dafür auszuführen, warum die meisten Patienten (85-95 %) mit einer reinen L-T4-Substitution dennoch gut zu recht kommen, anderen mit einer zusätzlichen L-T3-Substitution geholfen ist, und wiederum anderen auch dies nicht hilft. An dieser Stelle können wir nur einen Bruchteil dieses sehr in die Tiefe, des Schilddrüsenstoffwechsels, gehenden Vortrags wiedergeben.

Im Allgemeinen ist der einfache Regelkreis zwischen Hypophyse und Schilddrüse bekannt. Die Hypophyse produziert das Thyroid (= Schilddrüse) stimulierende Hormon TSH, welches die Schilddrüse veranlasst, Schilddrüsenhormone zu produzieren und freizusetzen. Sind zu wenig Schilddrüsenhormone im Blut, so gibt es negative Rückkopplungen über den Hypothalamus und die Hypophyse, damit die Hypophyse mehr TSH ausschüttet. Die Schilddrüse produziert vor allem T4, aber auch das aktive Schilddrüsenhormon T3.

  • TSH = Thyroidea (= Schilddrüse) stimulierendes Hormon.
    Die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) schüttet das Hormon TSH aus, welches die Schilddrüse anregt, die Schilddrüsenhormone T4 und T3 zu produzieren.
  • T4 = Tetrajodthyronin = Thyroxin = Schilddrüsenhormon
    Die 4 steht für 4 Jodatome, die in dieser Verbindung gebunden sind.
    T4 ist ein reines Depot-Hormon. Es sind keine Stoffwechselvorgänge bekannt, bei denen T4 selbst aktiv beteiligt ist. Mithilfe der Dejodase in verschiedenen Körperzellen wird aus T4 das aktive Schilddrüsenhormon T3.
  • Deiodase = Dejodase = Deiodierung
    = Entfernen eines Iod-Atoms aus einem Schilddrüsenhormon.
  • T3 = Trijodthyronin = Schilddrüsenhormon
    Die 3 steht für 3 Jodatome, die in dieser Verbindung gebunden sind.
    T3 ist das aktive Hormon.
  • rT3 = reverse Triiodothyronin
    Das inaktive Schilddrüsenhormon rT3 wird durch Deiodase aus dem Depot-Schilddrüsenhormon T4 gebildet. Bei schweren Erkrankungen kommt es zu einer stärkeren Deiodase hin zu rT3, so dass weniger vom aktiven Schilddrüsenhormon T3 gebildet werden kann. Es kommt zum so genannten Low-T3-Syndrom. Es wird vermutet, dass dies ein Schutzmechanismus des Körpers ist, um den Stoffwechsel herunter zu fahren.
  • fT4 und fT3
    Die Schilddrüsenhormone sind an Transportproteine im Blut gebunden. Zur Bestimmung der Schilddrüsenwerte im Blut werden die freien Schilddrüsenwerte (fT4 und fT3) bestimmt, nicht die gebundenen Schilddrüsenwerte (TT4 und TT3).
  • L-T4 = Levothyroxin ist das synthetisch hergestellte Schilddrüsenhormon T4 (Handelsnamen von L-T4-Präparaten: L-Thyroxin®, Euthyrox®,…)
  • L-T3 =Liothyronin ist das synthetisch hergestellte Schilddrüsenhormon T3 (Handelsnamen von L-T3-Präparaten: Thybon®, Cytomel®, …)
  • TBG
    Thyroxin-bindendes-Globulin (TBG), wie der Name sagt, ist ein Eiweiß, welches das Thyroxin im Blut bindet. 99% der im Blut zirkulierenden Schilddrüsenhormone sind an TBG gebunden. Dem Stoffwechsel zur Verfügung stehen jedoch nur die freien Schilddrüsenhormone fT4 und fT3. Durch die Bindung an TBG haben die Schilddrüsenhormone eine lange Halbwertszeit (= Zeit bis ein Stoff zur Hälfte abgebaut ist): Bei fT4 beträgt diese 6,7 Tage, durch die geringere Bindung von T3 beträgt die Halbwertszeit von fT3 nur ca. 16 Stunden.
  • TT4 und TT3: Mit dem voranstehenden T(= Total) wird die Gesamtmenge der Schilddrüsenhormone im Blut bezeichnet. Zu 99 % sind die Schilddrüsenhormone dabei an TBG (= Thyroxin-bindendes-Globulin) gebunden.
    Durch die Bindung an TBG haben die Schilddrüsenhormone eine lange Halbwertszeit (= Zeit bis ein Stoff zur Hälfte abgebaut ist): Bei fT4 beträgt diese 6,7 Tage, durch die geringere Bindung von T3 beträgt die Halbwertszeit von fT3 nur ca. 16 Stunden.

20 % Prozent des im Blut vorhandenen T3 stammt dabei direkt von der Schilddrüse, die übrigen 80 % werden durch die sogenannte Deiodase, vor allem in den Zellen von Leber und Muskeln [Bezüglich Muskeln siehe Thema: Umwandlung von T4 in T3 vor allem in Muskelzellen? ; (Bloise 2018)], aus dem Schilddrüsenhormon T4 gebildet. Damit die Schilddrüsenhormone in diese Zielzellen gelangen können, braucht es Transportmoleküle.

In den letzten Jahren wurde hier eine Reihe unterschiedlicher Moleküle entdeckt, meist durch Genmutationen die den Transport der Schilddrüsenhormone in die Zellen stören. So z. B. bekommen Kinder mit einer MCT8-Mutation durch die Störung des Transports der Schilddrüsenhormone in die Zellen schwere neurologische Defekte.

Mittlerweile wurden eine ganze Reihe von Transportmolekülen für die Schilddrüsenhormone entdeckt (MCT8, MCT10, OATP1C, LAT2…). Je nach Zielorganen spielen die einzelnen Transportmoleküle eine unterschiedliche Rolle, so dass es auch an dieser Stelle es zu einer Regulierung der Aktivität der Schilddrüsenhormone kommt. Diese unterschiedliche Aufnahme der Schilddrüsenhormone in die einzelnen Zellen der Zielorgane ist mit eine mögliche Erklärung, dass Patienten Beschwerden einer Schilddrüsenüber- und unterfunktion völlig unterschiedlich, auch je nach Organ, erfahren können, und dies selbst dann, wenn die Schilddrüsenwerte im Blut innerhalb der Referenzwerte liegen.

In den Zellen finden sich Enzyme, Deiodasen (siehe Grafik). Bei der Deiodase wird aus dem Depotschilddrüsenhormon T4 ein Iod-Atom gelöst und so u. a. in das aktive Schilddrüsenhormon T3 umgewandelt. Bei den Deiodasen hat man unterschiedliche Typen festgestellt, die je nach Organ unterschiedlich stark von Bedeutung sind. Typ 1 kommt so z. B. vor allem in der Leber vor, während Typ 2 vor allem im Gehirn und in der Hypophyse von Bedeutung sind. Ein paar Deiodasen benötigen zudem den Cofaktor Selen. Auch innerhalb der Zielzellen kommt es so zu einem eigenen Aktivierungs- und Regulierungsmechanismus der Schilddrüsenhormone.

Ein weiterer Regulierungsmechanismus der Schilddrüsenhormone sind die T3-Rezeptoren, die in allen Zellen vorhanden und zur Aktivierung der einzelnen Stoffwechselprozesse der Zellen notwendig sind. Auch hier gibt es ganze Familien vonT3-Rezeptoren.

In unterschiedlichen Zellen sind unterschiedliche Formen der T3 Rezeptoren vorhanden und diese können sich noch mit anderen Rezeptoren, wie denen von Retinsäure oder Vitamin D, verbinden. Diese Prozesse ändern die Aktivierung der T3 Rezeptoren, d. h. eine identische Konzentration von T3 im Blut oder in der Zelle hat eine unterschiedlich starke Wirkung. Dies gilt auch für andere Substanzen wie z. B. das L-Carnitin, welches sich vor allem an die T3-Rezeptoren der Herzmuskelzellen heften kann, und so das T3 in seiner Wirkung auf das Herz blockiert (siehe FAQ: L-Carnitin zur Minderung von Überfunktionssymptomen).

Betrachtet man den komplexen Aktivierungs- und Regelmechanismus der Schilddrüsenhormone, so wird klar, dass die Schilddrüsenwerte im Blut nur einen Anhalt für deren Wirkung in den einzelnen Zielorganen geben. Auch unterliegen diese gemessenen Schilddrüsenwerte im Blut noch anderen Faktoren, so dass anhand eines einzeln abweichenden Schilddrüsenwertes im Blut, nur bei sehr deutlicher Auslenkung eine Therapie begonnen bzw. geändert werden sollte. Meist braucht man die Bestätigung durch eine zweite Messung.

Für die Aktivierung von Schilddrüsenhormonen gibt es also eine ganze Reihe von Regelmechanismen. Bei Menschen ohne Schilddrüse wird in der Regel eine reine L-T4-Substitution durchgeführt. Obgleich diesen Patienten, das T3 im Blut, welches direkt aus der Schilddrüse kommt, fehlt (siehe Grafik 1), kommen die meisten von ihnen dennoch gut damit zu recht, weil es über die Umwandlung von T4 zu T3 durch Deiodasen genügend Kompensationsmechanismen gibt. Bei manchen Patienten fehlen allerdings diese Kompensationsmechanismen, zu denen auch die Transportmoleküle und die Empfindlichkeit der T3 Rezeptoren gehören. Diese Patienten können mit einer reinen L-T4-Substitution Probleme entwickeln.

Durch eine zusätzliche L-T3-Substitution lässt sich jedoch die Produktion des T3 aus der Schilddrüse nicht genau nachbilden, da T3 eine sehr kurze Halbwertzeit von 20 Stunden hat und es bislang keine Retardtabletten gibt. Die Europäische Leitlinie zur L-T4 und L-T3 Substitution betont daher den experimentellen Charakter einer L-T3-Substitutionstherapie. Auch Professor Brabant gab in seinem Vortrag zu bedenken, dass es noch keine Langzeitstudien zur Kombinationstherapie gibt und man nichts über die Langzeitfolgen einer solchen Therapie weiß.

Überprüft auf medizinische Richtigkeit
durch: Professor Brabant (Lübeck)

Publiziert in Offline Nr. 10, Juni 2013
www.sd-krebs.de – Offline – Inhalt (Übersichten)

Viele Grüße
Harald


  • Dieses Thema wurde geändert vor 10 Monaten, 2 Wochen von Harald.
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Anonym
Inaktiv

Antwort auf: Lebensqualität und Schilddrüsenwerte im Blut Warum ein einzelner Blutwert wenig Aussagekraft hat (Offline Nr. 10, 6.2013)

| Beitrags-ID: 459878

Ich erlaube mir, den Beitrag von Harald Rimmele zu ergänzen, weil ich den Eindruck habe, dass die obenstehenden Ausführungen ein wesentliches Problem der Substitutionstherapie vielmehr verschleiern als erhellen.

Bekannt sind drei verschiedene Dejodasen. Ich versuche, eine Überblick über die Typ-I-Dejodase und die Typ-II-Dejodase, ihre Unterschiede und ihr Zusammenspiel zu geben.

 

Typ-I-Dejodase

Funktion: Umwandlung von T4 zu T3

Vorkommen: Schilddrüse, Leber, Niere

Wirkungsort: endokrine Sekretion. Das von der Typ-I-Dejodase erzeugte T3 wird in den Blutkreislauf sezerniert und dem gesamten Organismus zur Verfügung gestellt. Die Typ-I-Dejodase ist verantwortlich für den T3-Gehalt des Blutes.

Regulation: T3 erhöht die Transkriptionsrate des Gens für die Typ-I-Dejodase: je mehr T3 desto mehr Typ-I-Dejodase (ein selbstverstärkender Prozess)

Typ-II-Dejodase

Funktion: Umwandlung von T4 zu T3

Vorkommen: Muskulatur, Hypophyse, Fettgewebe, Knochen, Uterus

Wirkungsort: parakrin, autokrin. Das von der Typ-II-Dejodase erzeugt T3 wird lokal (in der Zelle, in der es entsteht oder von Nachbarzellen) verbraucht. Die Aktivität der Typ-II-Dejodase leistet einen wesentlichen Beitrag zum T3-Gehalt in den Körperzellen; in einigen Geweben werden bis zu 50% des intrazellulären T3 von der Typ-II-Dejodase erzeugt.

Regulation: T4 verkürzt die Halbwertzeit der Dejodase durch Ubiquitinierung (T4 ist nicht nur ein Prohormon; es hat auch regulatorische Funktionen.) Ein hoher T4-gehalt im Blut vermindert die Aktivität der Typ-II-Dejodase.

 

Das T3, welches im Blutkreislauf zirkuliert, wird von Leber, Niere und Schilddrüse erzeugt; der Beitrag der Schilddrüse liegt bei 20 %. Dieser Anteil ist relativ niedrig. Viele Autoren weisen aber darauf hin, dass der kleine T3-Beitrag der Schilddrüse von großer Bedeutung sei.

Wenn die Schilddrüse fehlt und ausschließlich LT4 zugeführt wird, muss man relativ viel T4 zuführen, um einen bestimmten T3-Spiegel im Blut zu erreichen. Patienten ohne Schilddrüse haben ein vergleichsweise hohes T4/T3-Verhältnis im Blut. Der erhöhte T4-Gehalt im Blut hat Auswirkungen auf die T3-Erzeugung in den Zellen.

Zellen, die T3 verbrauchen, erhalten dieses zum Teil aus dem Blut, zum Teil erzeugen sie es selbst durch Umwandlung von T4 zu T3 durch die Typ-II-Dejodase. Wenn nun die Zelle vom Blutstrom eine „hochnormale“ Menge T4 erhält, kann sie dieses T4 nicht ausreichend umwandeln, weil die Aktivität der Typ-II-Dejodase durch den hohen T4-Spiegel gehemmt wird. Steigert man die LT4-Dosis, erhöht man zwar den T3-Gehalt im Blut, verschärft aber zugleich den T3-Mangel im Gewebe, v.a. in denjenigen Geweben, in denen die lokale T3-Erzeugung besonders wichtig ist.

Mit anderen Worten: Unterschiedliche Gewebe haben einen unterschiedlich hohen Bedarf an T3, der die „Grundversorgung“ durch den Blutstrom in mehr oder minder hohem Maße übersteigt. Dieser gewebespezifische Mehrbedarf wird durch die Aktivität der Typ-II-Dejodase innerhalb der Zelle gedeckt. Mechanismen zur Regulation der Dejodasen sind abgestimmt auf die Verhältnisse im intakten Organismus, in dem die Schilddrüse vorhanden ist.

 

Ich verlinke Euch zwei Paper und ein Videos zu diesem Thema.

Der Videobeitrag ist ab Minute 14 relevant. Im Vortrag wird auch gezeigt, dass bestimmte T3-abhängige Parameter unter LT4 keine normalen Werte erreichen. Es bleibt also eine grundsätzliche Dysbalance bestehen.

https://www.youtube.com/watch?v=WkfK2vx_iII

 

Ob ein Mensch nach dem Verlust der Schilddrüse mit LT4 zurecht kommt oder nicht, hängt gewiss auch von der Kompensationsfähigkeit anderer Organsysteme ab. Ich glaube außerdem, dass eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung die Toleranz vorhandener Symptome erschweren und Leiden verstärken kann.

 

 

 

Anonym
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